Triumph und Tragödie

Eine Biographie der Gipfelstürmerin Alison Hargreaves

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alison Hargreaves, geboren 1962 in Derbyshire, war die erste Frau, die den Gipfel des Mount Everest ohne Sauerstoffflaschen und ganz auf sich allein gestellt erreichte. Das war am 13. Mai 1995. Zuvor waren ihr Solobegehungen von schwierigen Alpenwänden geglückt, u. a. die Nordwände von Eiger, Matterhorn, Grandes Jorasses, Piz Badile und Großer Zinne. Am 13. August des selben Jahres stürzte die Mutter von zwei kleinen Kindern beim Abstieg vom K2, dem zweithöchsten Berg der Welt, den sie trotz einer drohenden Schlechtwetterfront anging, in den Tod. Die Ursachen für das katastrophale Ende einer strahlenden Karriere sehen die beiden Journalisten Douglas und Rose in der problematischen Biographie der Gipfelstürmerin, aber auch in der verhängnisvollen Entwicklung der Höhenbergsteigerei, die in den letzten Jahren, wie wir alle seit Jon Krakauers dramatischem Bericht wissen, immer mehr Opfer gefordert hat. So wird nicht nur der gefahrvolle Lebensweg einer ungewöhnlichen Frau, sondern auch der Geist einer Zeit in einem Buch porträtiert, das, wenngleich mit wenig alpinistischer Sachkenntnis verfasst und übersetzt, 1999 in Großbritannien für erregte Diskussionen sorgte.

Alison Hargreaves gehörte zu jenen Frauen, die sich Ende der achtziger Jahre im bislang männlich dominierten Alpinismus bis zur Spitzengruppe vorkämpften und dabei ihre Leidenschaft zum Beruf machten. Kameradschaft jedoch scheint es in den eisigen Höhen - zumindest unter den Profis - kaum mehr zu geben, weshalb sie denn auch zu halsbrecherischen Alleingängen neigen, die überdies für die Sponsoren den Marktwert der Athleten steigern.

Hinzu kommt, dass Alison Hargreaves bereits mit 16 Jahren eine vielversprechende Schullaufbahn beendet hatte und sich auf eine Beziehung mit einem wesentlich älteren Mann einließ. Aus alptraumhafter Enge, zu der sich unter Maggie Thatchers Regierungszeit bald wirtschaftliche Schwierigkeiten gesellten, glaubte die Tochter aus der Mittelschicht einerseits in die Natur entfliehen zu können, andererseits aber auch in die allseits anerkannte Aufgabenwelt einer Mutter. Verdrängungstechniken, die so leicht nicht zu vereinbaren sind. Ihre bis zuletzt geführten Tagebücher, die neben Interviews die Grundlage der Biographie bilden, offenbaren keine Heldin der Berge, sondern das Dilemma einer ehrgeizigen und von Versagensängsten geplagten Frau, die den Alpinismus als Treppe zu Freiheit und Anerkennung verstand und dabei übersah, in welch mörderischen Konkurrenzkampf sie geriet, je populärer sie durch ihre waghalsigen Unternehmungen wurde. Denn zur privaten Misere, die bisweilen an literarische Vorgängerinnen wie Virginia Woolf oder Sylvia Plath erinnert, kam ein erheblicher öffentlicher Druck, da sich Großbritannien ausgerechnet im Everest-Jubiläumsjahr im Himalaya von anderen Nationen überflügelt sah und nun gewisse Hoffnungen in das überaus riskante Ziel der jungen Frau setzte, die innerhalb eines Jahres die drei höchsten Berge der Erde erklettern wollte. Dass ihr dies bei zwei Gipfeln sogar gelang, machte sie in ihrem Heimatland post mortem zur Ikone. Doch die Gleichsetzung mit Robert Scott und dessen gescheiterter Südpolexpedition verrät, wie dicht im Medienzeitalter Triumph und Tragödie beisammen liegen.

Titelbild

David Rose / Ed Douglas: Die Gipfelstürmerin.
Ullstein Taschenbuchverlag, München 2000.
311 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3548359957

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