Nicht Marylin, nicht Monroe

Joyce Carol Oates Roman "Blond"

Von Klaus KastbergerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Kastberger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder von uns kennt das Phänomen: Es braucht nur jemand nachdrücklich zu fordern, jetzt nicht an einen Elefanten zu denken, schon malen wir uns in Gedanken den Dickhäuter aus. Die amerikanische Erfolgsautorin Joyce Carol Oates greift in ihrem neuen Buch den alten Trick auf, auch wenn es in "Blond" um ein eher dünnhäutiges Wesen zu tun ist, das die Autorin einen "Kolibri" nennt. Ein kurzer Text, der dem Buch vorangestellt ist (so wie dies ansonsten nur die medizinischen Beipacktexte bei Arzneimitteln tun), klärt mich darüber auf, dass der Roman "Blond" unbedingt als ein Roman zu lesen ist. Keinesfalls sei das Buch als eine Biographie der Monroe zu verstehen, auch wenn das Cover dies zusätzlich nahe legt.

Dort ist nämlich just jenes Gesicht zu sehen, an das ich, wenn ich den Beitext von "Blond" ernst nehme, nicht oder nicht ausschließlich denken soll: das Gesicht der Monroe, seitlich auf die Hand gestützt, der Zeigefinger schiebt die rechte Braue nach oben, ganz so, als wäre die Frau ohne dieses kleine Hilfsmittel niemals in eine nachdenkliche Pose gekommen.

Wenn es um die Monroe zu tun ist, ist es um die stärksten Bilder zu tun: von unten hebt ein Luftstoß den weißen Plissérock in die Höhe, ein Paar Beine in hohen Sandalen streckt sich nach hinten gewaltig durch. Bei Joyce Carol Oates ist das diesbezügliche Kapitel schnell gefunden. Mit ihm, das sich in fast enzyklopädischem Eifer "Die amerikanische Göttin der Liebe über dem U-Bahnschacht New York 1954" nennt, beginnt das letzte Drittel des 900 Seiten Buches - eines Buches im Übrigen, das interessant wird, sobald der erste Mann auftaucht. Über dem U-Bahnschacht ist nicht nur Marilyn, sondern auch Joyce Carol at her best. Beispielsweise wenn sie davon spricht, wie sich die Monroe - gespiegelt in den Phantasien der Männer - selber als so "kerngesund und hygienisch wie ein Heftpflaster" sieht. In Oates unübertrefflichen Worten: als "ein sauberer amerikanischer Schlitz".

Es geht weniger um den Unterschied zwischen Mann und Frau, sondern um den Unterschied zwischen dem, was die Monroe denkt und dem, was von den anderen über sie gedacht wird. Diesen Unterschied zu erkunden, verspricht uns Oates mit ihrem Buch, und eben dieses Versprechen ist es, das das Buch "Blond" zu einer interessanten und spannenden Sache macht. Hinter der glamourösen Fassade der Monroe gibt es die unglückliche 'Blonde Darstellerin' zu entdecken, als die die Hauptfigur über weite Strecken bezeichnet wird. Hinter der ,Blonden Darstellerin' wiederum steckt die authentische Norma Jeane Baker. Ein Mädchen, das, nachdem die Mutter in die Psychiatrie gesteckt worden ist, seine Jugend in einem Waisenhaus verbringt. Zeitlebens wird Norma, die ihren Vater niemals gesehen hat, auf ein Lebenszeichen des Vaters warten; viele ihrer Liebhaber nennt sie später einfach nur Daddy.

Joyce Carol Oates lässt den echten und somit erfundenen Vater reuige Briefe an die Tochter schreiben. Diese Schreiben gehen der Monroe genauso ans Herz wie jene Autoren, die sie liest und die - man höre und staune - von Schopenhauer bis Darwin reichen. Aber nicht nur als eine exemplarisch Lesende glänzt die Monroe bei Oates, sondern auch als eine passioniert Schreibende, wobei freilich auch dieser Teil von Monroes Nicht-Biographie eine tragische Komponente hat. Die Gedichte der Frau sind schlechter Durchschnitt, wie beispielsweise jenes eine über das "Begehren", in dem der nicht unphilosophische Satz zu lesen ist: "du begehrst mich / also / bin ich nicht".

Gerade mit solchen fiktionalen Materialien, die in manchen Fällen nur hauchdünn neben den Originalen zu liegen scheinen, versteht es Oates, den inneren Raum der Monroe zu öffnen. Das Buch "Blond" behält also mit Sicherheit nicht nur bei der Haarfarbe recht, es ist als Ganzes gut recherchiert und es ist dort, wo es absichtsvoll von den verbürgten Fakten abweicht, fast noch besser erfunden. "Blond" ist aber vor allem gut geschrieben, und zwar deshalb, weil es über Strecken recht unkonventionell und frisch wirkt.

Dichte Atmosphäre kommt nicht nur in den narrativen Passagen auf, wo von Hollywood während der McCarthy-Ära ebenso zu lesen ist wie von den Begegnungen mit einem Mr. Brando, Mr. Gable oder einem Mr. President, dem die Monroe knapp vor ihrem Tod ein unvergessenes "Happy Birthday" zuhaucht. Dicht und gedrängt geht es in dem Buch auch dort zu, wo die Autorin auf Stil verzichtet und wild zu zitieren und montieren beginnt. In Teilabschnitten kommt es zu rohen Gedankenprotokollen, an einer anderen Stelle werden (und zwar aus einer FBI-Akte heraus) die Liebhaber und Liebhaberinnen der Monroe aufgelistet, ohne dass all diese Geschichten im Einzelnen geprüft oder erzählt werden müssten.

Am expliziten Kern von Oates Buch gehen aber all diese Geschichten vorbei. "Blond" ist über den Verdacht erhaben, eine Biographie zu sein, allein schon deshalb, weil es über Strecken ein Porno ist. Wahrscheinlich hat der Klappentext genau diese Art von ,Wagemut' gemeint, wenn er die Autorin euphemistisch als eine wagemutige Autorin bezeichnet. Mit dem Buch "Blond" erweist Joyce Carol Oates, dass sie mit ihrem Schreiben nicht nur am Haupthaar und im Gefühlsbereich, sondern auch direkt zwischen den Beinen zu Hause ist: Dort schwellen die Dinge mächtig an, ohne dass irgend jemand fragen müsste, worum es sich bei diesen Dingen eigentlich handelt.

Titelbild

Joyce Carol Oates: Blond. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Uda Strätling, Sabine Hedinger und Karen Lauer.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
911 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 310054000X

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