Auf der Suche nach dem Identitätsbegriff

Zu "Sprache - Identität - Kultur: Frauen im Exil"

Von Andrea HammelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Hammel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Sprache - Identität - Kultur", so lautete das ehrgeizige Motto der 1997 in Mainz stattgefundenen Tagung der Arbeitsgemeinschaft "Frauen im Exil", einer von Mitgliedern der deutschen Gesellschaft für Exilforschung e. V. 1990 gegründeten Gruppe. Die Unmöglichkeit, den drei weit umfassenden Begriffen des Titels gerecht zu werden, macht Eva Borst, eine der Organisatorinnen der Mainzer Konferenz, in ihrem Artikel zur Konzeption der Tagung klar, der den Anfang dieser Ausgabe des internationalen Jahrbuchs "Exilforschung" bildet. Borst erklärt die Frage nach Identität, "die ihren Ausdruck in symbolischen und interaktionistischen, in kulturellen und gesellschaftlichen sowie geschlechtsspezifischen Bezügen erhält", zum verbindenden Hintergrund der ersten dreizehn Artikel des Bandes. Der Einleitung folgt ein Artikel der Soziologin und Ethnologin Hanna Papanek, die sich als selber Exilierte einem Projekt über ihre eigene Familie zugewandt hat. Sie definiert Identität als Prozess, der zwar als schmerzhaft, aber auch als Chance erlebt werden kann.

Farideh Akashe-Böhmes Beitrag "Biographien in der Migration" ist weniger optimistisch gehalten. Akashe-Böhme kritisiert einmal die westliche, männlich-dominierte Tradition (auto-)biografischer Texte, die eine Orientierung an einer Art Normalbiografie verlangt. Zu Problemen in der Verwendung dieser normativen Struktur kann es einmal durch historische Ereignisse, wie den Zweiten Weltkrieg, oder durch soziale Reformen kommen, wie die Veränderung der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Die Migration im 20. Jahrhundert als eine "massenhafte Bewegung von Einzelpersonen [...] zwischen räumlich stabilen Nationen und Kulturen" ist ein weiterer Grund, der zum Verlust von kulturellen Selbstverständlichkeiten und zu Problemen der Versprachlichung von Biografien führt. Akashe-Böhme versucht hier als einzige Beitragende, Verbindungen zwischen Emigranten und Emigrantinnen aus Nazideutschland und anderen späteren Gruppen, wie zum Beispiel muslimisch-asiatischen Emigranten zu schaffen. Obwohl dies auch ein Desiderat der ursprünglichen Tagung war, musste wohl festgestellt werden, dass sich diese Art von erweiterter komparativer Analyse noch nicht verwirklichen ließ. Ein Projekt für die Zukunft ist sie aber auf jeden Fall.

Weitere Beiträge des Bandes befassen sich mit noch wenig erforschten Aspekten des Exils aus Nazideutschland: Meinhard Stark beschreibt den Alltag deutscher Exilantinnen im sowjetischen GULAG, und Claudia Schoppmann befasst sich mit der Situation lesbischer Frauen im Exil. Schoppmann kommt ebenso wie Papanek zu dem Schluss, dass der Neuanfang im Exil von manchen Exilantinnen als positive Entwicklung gesehen wurde.

Gabriele Mittag beleuchtet geschlechtsspezifische Aspekte der in französischen Internierungslagern entstandenen Literatur, während vier andere Beitragende versuchen, das Leben und Werk von einzelnen Künstlerinnen und Schriftstellerinnen in breitere Themen einzubinden. Der Band enthält zudem autobiografische Texte von zwei Frauen, die sich an das Exil ihrer Eltern erinnern, und drei Beiträge, die wohl nicht aus der oben genannten Tagung hervorgegangen sind. Es ist deshalb schwer, den Band als homogenes Ganzes zu sehen. Die einzelnen Beiträge sind als solche jedoch interessant. Die Biografien und Werke von Frauen sind immer noch viel weniger erforscht als die männlicher Exilanten. Der Versuch eines verbindenden Konzepts gelingt hier allerdings nur bedingt. Eine stärkere Fokussierung auf die Identitätsfrage wäre wünschenswert gewesen.

Titelbild

Claus-Dieter Krohn / Erwin Rotermund / Lutz Winckler / Wulf Köpke (Hg.): Exilforschung Ein internationales Jahrbuch 17. Sprache Identität Kultur.
Unter Mitarbeit von Sonja Hilzinger.
edition text & kritik, München 1999.
268 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3883776173

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