Eine Halbzeitanalyse

Charles Simmons' autobiographischer Roman "Lebensfalten"

Von Judith WitzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Witzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was bringt einen Mann im Alter von gut fünfzig Jahren dazu, über sein Leben zu schreiben? Vermutlich hat er Aufregendes erlebt oder aber Großartiges geleistet. Vielleicht gab es in seinem Leben auch Ereignisse, die verarbeitet werden müssen. Der Schreiber könnte aber auch der Auffassung sein, dass in seinem Leben nichts Bedeutsames oder Mitteilungswertes mehr geschehen wird.

Auf Charles Simmons' autobiographischen Roman "Lebensfalten", der nun - über zwanzig Jahre nach seiner Entstehung - aufgrund des großen Erfolges von Simmons' Roman "Salzwasser" erstmals in deutscher Sprache erscheint, trifft eigentlich nichts davon zu.

In über vierzig Kapiteln teilt Simmons nichts aufregend Großartiges oder großartig Aufregendes mit. Er erzählt Begebenheiten, beschreibt Situationen, die ziemlich normal anmuten. Dabei geht er nicht chronologisch vor, folgt keinem auf den ersten Blick erkennbaren roten Faden. Es scheint vielmehr, als habe Simmons sich einfach gleiten lassen. Er erzählt eine Geschichte und dabei kommt ihm - wie zufällig - schon die nächste in den Sinn. Er gleitet sozusagen mit seinen Gedanken und spricht so zum Beispiel zunächst von Insekten, dann von Sexualität, nach Religion über das Wohnen. Was Simmons hier schildert, sind ganz normale Ängste, Freuden und Gedanken. Es geht um Probleme als Kind, in der Schule, als Jugendlicher. Hinzu kommen Schwierigkeiten beim Militär, im Berufsleben und in zahlreichen Beziehungen. Also eigentlich nichts Besonderes.

Eventuell war für Charles Simmons aber auch die Verarbeitung bestimmter Ereignisse ein Motiv für das Schreiben. Vor allem ein Thema taucht in zahlreichen Kapiteln immer wieder auf: Frauen. Besser gesagt: Probleme mit Frauen. Es geht um seine Exfrau sowie um unzählige Geliebte und Affären. Die ständige Thematisierung dieser Affären - für Simmons vielleicht eine Art Therapie? In seinem Roman heißt es an einer Stelle: "Nachdem er ein paar Kurzgeschichten geschrieben hatte, wurde ihm klar, daß er schreiben wollte, um sich ein für allemal zu erklären..." Wem will Simmons sich erklären? Seiner Exfrau, seinen Freundinnen, seiner Familie oder einfach sich selbst? Der Leser jedenfalls braucht bisweilen eine recht gute Ausdauer, um seine Frauengeschichten durchzustehen.

Möglicherweise könnte er sein Leben aber auch für bereits abgeschlossen halten, der Meinung sein, es würde nichts wirklich Wichtiges mehr passieren. Aber auch diese Vermutung trifft nicht zu. Im Gegenteil: Simmons' Roman zeichnet sich durch stetige Blicke in die Zukunft aus. Am Ende eines jeden Kapitels schildert er, wie er sich seine nächsten Jahre vorstellt, wie sich bestimmte Ereignisse oder Situationen weiterentwickeln werden. Auf keinen Fall ist also von Resignation zu sprechen. Simmons zeigt, dass es weitergeht, wenn auch mit Höhen und Tiefen.

Demzufolge zieht er mit seinem autobiographischen Roman also in keiner Weise ein Fazit seines Lebens, es ist wohl vielmehr eine Halbzeitanalyse. Auf jeden Fall macht Simmons mit seinen "Lebensfalten" deutlich, dass es nicht immer große Erlebnisse braucht, um den Leser zu unterhalten. Auch das Normale - ausgenommen seine vielleicht nicht ganz so normalen erotischen Abenteuer - kann sehr fesselnd sein.

Was das Buch darüber hinaus lesenswert macht, ist die Sprache, mit der Charles Simmons seine Lebensgeschichte - besser gesagt die erste Halbzeit - erzählt.

Er geht sehr sparsam mit seinen Worten um, bringt seine Beschreibungen schnell auf den Punkt. Die Handlung des Romans verläuft derartig zügig, dass meistens keine Zeit dafür verschwendet wird, auftauchende Personen mit einem Namen zu versehen.

Beim Schildern bestimmter Situationen gibt es Passagen, in denen Simmons sehr fein und gefühlvoll mit den Worten umgeht. So beschreibt er gleich im ersten Kapitel auf eine eigenwillige, irgendwie nüchterne, aber doch sehr zarte Art die Zahlen, wie er sie sieht: "Jede Zahl fühlte sich anders an. Die Eins war perfekt und freundlich. Die Zwei war nicht so kompliziert, wie sie aussah, zumindest wenn er sie ordentlich schrieb, so wie ein Z." Daneben aber gibt es große Abschnitte in seinem Roman, in denen seine Ausführungen sehr derb und grob sind. Dies sind vor allem jene Passagen, in denen Simmons über seine Sexualität spricht und bisweilen sehr detailliert beschreibt, wie er sie auslebt.

Wenn Charles Simmons nun all das, wovon er in seinen Ausblicken spricht, in die Tat umsetzen will, dann hat er noch viel vor. Und seine Zukunft wird genug Stoff für einen weiteren Roman liefern, eine Analyse der zweiten Lebenshalbzeit sozusagen. Man darf gespannt sein. Und vielleicht wird sein Leben ja in Bezug auf Frauen mit zunehmendem Alter etwas ruhiger.

Titelbild

Charles Simmons: Lebensfalten. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Hornfeck.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
162 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3406471242

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