Puritanischer Fundamentalismus

Barbara Vinken versammelt Widersprüche gegen Catharine MacKinnon

Von Klaus EngelsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Engels

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen der jüngeren Vorstöße in der Pornographie-Debatte unternahm 1993 die amerikanische Juraprofessorin Catharine MacKinnon mit ihrem Buch "Only Words." Ausgehend von ihrer Hauptthese, Pornographie schaffe die Wirklichkeit, die sie darstellt, postuliert die Autorin den kausalen Zusammenhang zwischen Pornographie, Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen. Demnach werden Frauen in pornographischen Darstellungen nicht nur erniedrigt, sondern vor allem in ihren sexuellen Bedürfnissen falsch repräsentiert. Diese falsche Repräsentation wirkt sich verformend auf das Geschlechterverhältnis aus, so daß die verfassungsmäßig garantierte Gleichheit von Mann und Frau nicht mehr gewährleistet ist. Daher fordert MacKinnon, die Pornographie aus dem Grundrecht der Freiheit der Rede herauszunehmen, um den Frauen die Möglichkeit einzuräumen, gegen den Schaden klagen zu können, der ihnen durch Pornographie entsteht.

Im einführenden und abschließenden Beitrag ihres Buches "Die nackte Wahrheit" wendet sich Barbara Vinken gegen diese restriktive Wendung in der Pornographie-Debatte. Sie rechnet den Vorstoß MacKinnons der jüngsten Welle des amerikanischen Fundamentalismus zu und entlarvt die puritanische Herkunft von MacKinnons Feminismus. Denn von der wahren Komplexität des Sexuellen wisse MacKinnons politischer Diskurs nichts, so Vinken. Die Amerikanerin verharre in einem überholten rechtspositivistischen Denken, das von der Zweiteilung von Geist und Körper ausgehe - mit dem entsprechenden Qualitätsgefälle: Das Geschlechtliche erscheine bei MacKinnon in einer solchen Geistlosigkeit, "als ob jede männliche Erektion eine persönliche Beleidigung für die Frauen wäre".

Barbara Vinken versammelt in "Die nackte Wahrheit" Beiträge von Autorinnen und Autoren, die aus unterschiedlicher Warte dem neuen Ruf nach Zensur widersprechen und dem radikal-konservativen Ansatz MacKinnons eine liberale Position entgegensetzen. Dieter Ingenschay untersucht in seinem Beitrag die homosexuelle Pornographie im Zusammenhang mit der schwulen Autobiographie. Ingenschay hält es für charakteristisch, daß die homosexuelle Pornographie von dem Problem der heterosexuellen Machtverhältnisse unbelastet ist. So hafte ihr, in ihrer Funktion, eine schwule Identität zu konstituieren, noch etwas vom Pathos der Emanzipation an, mit der die heterosexuelle Pornographie so sehr gescheitert ist.

Diesem Scheitern geht Silvia Bovenschen in ihren "Amerkungen zur Pornographie-Kampagne" nach. In einem Überblick über die vergangenen dreißig Jahre der Debatte reflektiert sie noch einmal die Thesen Michel Foucaults, Susan Sontags und Andrea Dworkins. Nach einem historischen Rekurs auf die viktorianischen Ursprünge, erläutert Albrecht Koschorke den weiblichen Souveränitätsschub in der Pornographie: Der abnehmende Objektstatus der Frau und die Tatsache, daß der "Hauptglanz der ästhetischen Idealisierung" auf sie fällt, sei ein Indiz für den "virtuellen Machttransfer zwischen den Geschlechtern." So attestiert Koschorke der Pornographie Transformationen, "die einen Großteil der beanspruchten Souveränität des Betrachters seinem weiblichen Objekt übereignen". Judith Butler diskutiert auf der Grundlage von Transitivität und Performativität von Sprache MacKinnons These von der Macht der Pornographie, die Realität zu konstituieren. Butler sieht im visuellen Bild pornographischer Darstellungen allerdings keinen ausgesprochenen Imperativ und resümiert: "Wenn aber ein Imperativ 'dargestellt' und nicht 'ausgesprochen' wird, hat er keineswegs die Macht, die soziale Wirklichkeit dessen zu konstruieren, was Frauen sind."

Zu dem gleichen Ergebnis kommt Gertrud Koch, die auf filmtheoretischer Basis die somatische Wirkung des (Porno-)Kinos untersucht. Dem Ruf nach Regulierung und Zensur tritt sie mit dem Hinweis entgegen, das Kino habe natürlich eine sensuelle Wirkung, seine masturbatorischen und imaginativen Reize seien deswegen aber noch lange keine Handlungsanweisung. Roger Willemsen verlangt in seinem Beitrag nach einer Neubestimmung des Obszönen und findet das markanteste Wesensmerkmal seiner Definition in der Moralstiftung. Diese gehe dahin, allen Erscheinungen der Natur, auch dem Sexuellen, eine Warenqualität beizugeben. Willemsen sieht den Gipfel des Obszönen daher nicht in der Pornographie, die sich auf die Darstellung von Lust beschränkt, sondern in der kommerziellen Werbung, die durch perfide Suggestion körperlicher Notwendigkeiten die "Enterotisierung der Erotik" vorantreibt und in eine Welt der ästhetischen Gewalt führe.

Die Texte des Buches sprechen sich einheitlich gegen die These vom Kausalzusammenhang zwischen Pornographie und Gewalt gegen Frauen aus und fungieren somit als weitere Beiträge zum liberalen Diskurs. Das stereotype "Aber" zur Negativrolle der Pornographie - und damit verbunden die theoretische Überdeckung ihrer negativen Auswirkungen - ist allerdings oft nicht überzeugend. Nur Silvia Bovenschen kommt der sozialen Realität so nahe, daß sie einräumt, die Produkte der Porno-Industrie seien "Ausdruck eines unglaublichen Elends, einer deprimierenden erotischen Armut und einer barbarischen Brutalität". Wie in einem Rekurs auf die eigene Textsammlung bemerkt Vinken in ihrem abschließenden Beitrag dann auch: "Der liberale Diskurs [...] begnügt sich weiterhin damit, die Dringlichkeit des Sachverhalts ideologiekonform zu unterschlagen oder schlicht zu verleugnen." Den Beweis dafür hat Vinken in der Tat erbracht.

Titelbild

Barbara Vinken (Hg.): Die nackte Wahrheit. Zur Pornographie und der Rolle des Obszönen in der Gegenwar.
dtv Verlag, München 1997.
160 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3423306300

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