Die Wege der Kunst sind ergründlich

"Gesetz und Freiheit" von Harald Fricke

Von Johan Frederik HartleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johan Frederik Hartle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Knapp zwanzig Jahre nach seiner "Philosophie der Literatur" legt der Literaturwissenschaftler und Philosoph Harald Fricke nun eine Philosophie der Kunst vor. Sie präsentiert sich didaktisch klug, stilistisch souverän und reich an gattungsübergreifender ästhetischer Erfahrung. Fricke bewegt sich selbstbewusst in den verschiedenen Metiers und in einer Vielzahl von Theorietraditionen, wenn er auch seinen Heimatboden der Analyse textueller und narrativer Strukturen immer in Sichtweite behält.

"Gesetz und Freiheit" vereinigt eine Reihe von bereits veröffentlichten Einzelaufsätzen, die in engem Zusammenhang stehen: Sie alle dienen der Explikation und Überprüfung einer Theorie der Kunst, deren zentrale Kategorien - wie schon in Frickes Philosophie der Literatur - die von Norm und Abweichung sind. Sein wohl am russischen Formalismus angelegtes Programm fragt nach dem Mechanismus der ästhetischen Evolution und erkennt ihn in der funktionalen Überschreitung werk- und gattungsspezifischer Vorgaben. In diesen Abweichungen von historischen Fixierungen und Gesetzmäßigkeiten manifestieren sich in der Kunstpraxis Momente von Freiheit, deren Schimmer gleichsam zur Idee von Kunst wird.

Frickes Kategorien von Norm und Abweichung stammen aus der literaturwissenschaftlichen Praxis, sind analytisch erprobt und besitzen eine gewisse Plausibilität, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich strukturgleich in den meisten relevanten kunstphilosophischen Modellen finden. Fricke weiß darauf hinzuweisen und man kann den Grundthesen von "Gesetz und Freiheit" nicht widersprechen. Man kann sie jedoch hinsichtlich ihrer spezifischen Explikation befragen. Fragwürdig erscheint immerhin die etwas statische Bestimmung der gattungsspezifischen Normen. Fricke ist bemüht, die Gattungsmerkmale der einzelnen Künste genau zu benennen, um so den Abweichungsraum ein für alle Mal festzulegen. Dass jedoch z. B. Begriff und Funktion der Bildhauerei ahistorisch als Idee "erstarrter Bewegung" festzulegen seien, ist wenig plausibel. Eher ersetzen wohl Familienähnlichkeiten, die eine historische Kette unsichtbarer Übergänge bilden, fixe Ideen der einzelnen Genres und Medien; eher befinden sich wohl auch Funktionen und Bestimmungen der einzelnen Künste im Fluss. Um den Preis der Dynamik erkauft "Gesetz und Freiheit" ihren didaktischen Wert. So eingängig sie sind, so schematisch sind einige seiner Modelle.

Zweifelhaft wird diese etwas statische Darlegung, wo sie sich mit einem leicht antiquierten und euphemistischen Freiheitspathos verbindet. In Frickes Modell sind die Künste frei, weil sie sich zu allen - scheinbar naturnotwendigen - Voraussetzungen frei verhalten können. Architektur und Design seien dagegen durch "elementare Lebensfunktionen" bedingt und somit niemals wahrhaft autonom. Insofern aber diese vorfindlichen Zwecke selbst nicht Gegenstand der Gestaltung sein könnten, verblieben Architektur und Design in zierhaft ausführender Funktion. Das erscheint nur solange plausibel, wie man den Gebrauch von Dingen, das Wohnen und Behausen ihrer historischen Dimension beraubt. Es ließe sich dagegen argumentieren, dass Architektur und Design mindestens ebenso wie die "autonomen Künste" tätig in der Praxis der "Organisierung des Kollektivleibs" stehen, wie man mit Walter Benjamin sagen könnte, permanent an der Veränderung von Wahrnehmungs- und Lebensweisen beteiligt sind. Sie wären somit - freilich in anderer Perspektive als Fricke ästhetische Freiheit verstanden wissen will - durchaus souverän.

Die Rede von der Freiheit in der empirischen Praxis der ästhetischen Produktion zu situieren wäre Aufgabe einer Soziologie der Kunst. Gerade hier macht sich Harald Fricke durch allzu große Vorbehalte verdächtig. Das Kunstsystem, von dem in "Gesetz und Freiheit" die Rede ist, wähnt sich gänzlich antisystemisch und möchte sich nicht auf einen soziologischen Begriff bringen lassen. Das Programm erscheint gerade dadurch - so sachlich und unprätentiös der Tonfall auch zumeist sein mag - ein wenig kunstreligiös. Das kunstreligiöse Pathos kulminiert im letzten Kapitel. Darin ist von der Zeitlichkeit der Kunst die Rede und von ihrem Vermögen, durch Wiederholung und Dauer den Tod zu transzendieren. Die Kunst sei "ewig, ewig ... ewig, ewig" etc., so die beschwörerischen letzten Worte des Buches. "Ewigkeit" und "Freiheit" der Kunst bekommen den schalen Beigeschmack der Sakralität. Die profanen Bestandteile des Buches, seine sachlichen Argumente und nützlichen Einsichten hätten gut ohne diese Bekenntnisse zu tradierten Glaubenssätzen der philosophischen Ästhetik auskommen können. Wer sich davon nicht stören lässt, findet in "Gesetz und Freiheit" einen guten und bisweilen originellen Einstieg in zentrale Kategorien der ästhetischen Auseinandersetzung.

Titelbild

Harald Fricke: Gesetz und Freiheit. Eine Philosophie der Kunst.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
276 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3406465145

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