Liebeskampf und Ehekrieg

Anne Gabrisch erzählt die Geschichte von Ricarda Huchs unterwürfiger Liebe

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein "erhaben düsteres Panorama von ruinösen Phantasien und Leidenschaften, Bankrott und freiwilligem Tod" verspricht Anne Gabrisch zu Beginn ihrer "Liebesgeschichte von Ricarda und Richard Huch". Dass es sich um beider "Liebesgeschichte" handelt, ist allerdings zu wenig gesagt. Vielmehr beschreibt Gabrisch Ricarda Huchs (Liebes-)Leben über annähernd 30 Jahre hinweg. In dessen Zentrum steht zwar ihre "große Liebe" zu dem Mann ihrer Schwester Lilly, doch darin erschöpfte sich weder Ricarda Huchs Liebesleben noch die im Buch erzählte "Geschichte". Vielmehr berichtet Gabrisch etwa auch von Ricardas nicht sehr glücklicher Tätigkeit als Lehrerin, ihrer Arbeit in der Züricher Stadtbibliothek, ihren Frauenfreundschaften, insbesondere der zu Salomé Neuenreiter und einem daraus resultierenden feministischen Publikationsvorhaben, ihrem späteren Antifeminismus, ihren Buchveröffentlichungen und deren Aufnahme bei Kritik und Publikum, ihrem unerträglichen Lampenfieber bei Vorträgen und nicht zuletzt ihrer Ehe mit Ermanno Ceconi, die ihre Liebe zu ihrem Schwager auf einige Jahre suspendierte oder zumindest in den Hintergrund drängte.

Gabrisch ist es gelungen, eine ihrem Stoff angemessene Sprache zu finden. Öfter schlägt sie - trotz aller "Erhabenheit" - einen sanft ironisierenden Ton an. Dabei unterlaufen ihr gelegentlich jedoch auch schiefe Bilder. So, wenn sie in Hinblick auf Richard Huchs zeitweiligen Nebenbuhler Emanuel Zaeselin schreibt, Richard habe seine Geliebte aus "der Umzingelung dieses charmanten Drachen befreien" wollen. Ihre Protagonistin zeichnet die Autorin mit unverkennbarer, aber durchaus kritischer Sympathie. Die Kritik gilt vor allem Ricardas extremer Unterwürfigkeit, die in dem ausgeprägten Chauvinismus Richards ihr Pendant findet. Der Geliebte wird hingegen schnell als egozentrisch, chauvinistisch und eigentlich lieblos kenntlich.

Was die Quellenlage betrifft, so sind Ricardas Briefe durch Richard "sorgsam gerupft" überliefert: er riss Teile von Briefbögen ab oder ließ einzelne Seiten verschwinden. Ricarda ihrerseits vernichtete nach ihrer Heirat mit dem selbst auf ihre Vergangenheit eifersüchtigen Ceconi die Briefe, die sie von Richard zwischen 1887 bis 1897 erhalten hatte. Später verbrannte sie aus dem gleichen Grund sogar ihre Briefe im Nachlass der Großmutter.

Nahezu fünfzehn Jahre zuvor, 1883, hatte sich die siebzehnjährige Ricarda in den zwölf Jahre älteren Richard verliebt und war vom ersten Augenblick an von der "feste Vorstellung" besessen, Richard zu heiraten. "Und gerade mit dieser Vorstellung, die der Liebe als Abenteuer zuwiderläuft", so ihre Biographin, "wird sie sich ihr Märchen ruinieren."

Während Richard mit seiner Gattin Lilly in Braunschweig lebt, muss Ricarda wegen des Skandals und der Verachtung der Mitbürger, die sie und ihre Schwester traf, den Ehebrecher jedoch verschonte, Braunschweig verlassen. In den nächsten Jahren bettelt Ricarda zunächst von Zürich und später von München aus über Jahre hinweg ihren Geliebten um Briefe und gemeinsame jährliche Reisen an, auf die sich ihr Liebesleben zu dieser Zeit beschränkt. Will Richard die allsommerliche Reise einmal ausfallen lassen "kriecht sie zu Kreuze", bittet in einem "Taumel von Folgsamkeitserklärungen" verzweifelt für frühere "unbotmäßige" Briefe um Verzeihung und zeigt sich "voller Reue und demütiger Liebe". Könnten sie sich "dieses Jahr nicht auf einige Zeit treffen", schreibt sie ihm einmal, "werde ich ganz gewiß verrückt oder stelle irgendetwas Verrücktes an. Ich halte es ganz gewiß nicht aus. Mein Gott, es muß doch auf irgendeine Weise zu machen sein. Nur acht Tage! Ich bin zu allem bereit, auch irgendein wohlschmeckendes und gutartiges Gift zu nehmen, das will ich wirklich gern, aber dieses Leben so weiter hinschleppen, ohne Glück, ohne Hoffnung, das kann ich nun einmal nicht." Köstliches Gift!, eine ironische Geste gegenüber Richard, dessen Strategie es war, Ricarda mit Selbstmorddrohungen zu erpressen. Zudem terrorisierte der verheiratete und dabei überaus eifersüchtige Galan seine Geliebte immer wieder mit seinem "Anspruch auf ihre absolute Treue (auch in Gedanken)" und auf ihre "bedingungslose Liebe". Eifersüchtig war Richard auf viele und vieles: auf - vermeintliche - Nebenbuhler, überhaupt auf andere Männer, auf Ricardas Freundinnen und schließlich auch auf ihr Schreiben und ihren Erfolg. Dabei ist Ricarda folgsam und offeriert sich Richard ganz als sein Eigentum. "Deine Geige, lieber Meister, bin ich, spiele mich getreu", heißt es etwa in einem der frühen Gedichte, die "fast nur von ihm handeln". Richard nimmt wohl dankend an, lässt sie jedoch nicht im Unklaren darüber, dass er "nicht mehr schätzen könne", was er "endgültig besitze".

Als es 1897 zur ersten Trennung kommt, steht Ricarda weiterhin zu Richard, indem sie all ihren Bekannten bittet, die Schuld nicht bei ihm zu suchen. Mit der Trennung endet vorläufig auch die Korrespondenz. Im darauffolgenden Jahr heiratet sie den Italiener Ermanno Ceconi, der nicht nur die "Manieren eines Machos" besitzt, sondern auch eine "sehr italienische, sehr patriarchalische Eheauffassung". Seine Eifersucht übertrifft selbst diejenige Richards. Es überrascht wenig, dass der "temperamentvolle" Ceconi seine Frau zwar "vergöttert" aber auch "gelegentlich betrügt". Für Überraschung sorgt hier vielmehr die Biographin, indem sie erklärt, die Ehe sei gleichwohl "alles in allem gut" gewesen. Wie zuvor Richard und Ricarda, so knüpft nun auch Ermanno innerfamiliäre Liebesbeziehungen, nämlich zu Richards Tochter Käthe. Anlass für Ricarda, die Korrespondenz zu Richard wieder aufzunehmen. Im Oktober 1905 begegnen sie sich wieder und "in einem Augenblick sind neun Jahre wie ausgelöscht". Die Liebesgeschichte von Richard und Ricarda Huch beginnt aufs neue. Ermanno, der sich eben noch wegen Käte hatte scheiden lassen wollen, "tobt" nun natürlich vor Eifersucht; während Richard unmittelbar nach der Wiederaufnahme der Liebesbeziehung von Ricarda fordert, sich scheiden zu lassen, da ihm andernfalls, wie er schreibt, "weitere Beziehungen" zu ihr "unmöglich" seien. Natürlich sei auch er verheiratet, doch schließlich seien sie "in diesem Punkt noch nie gleich" gewesen. Selbstverständlich akzeptiert Ricarda sofort. "Sein und nur sein Wille geschehe", merkt Gabrisch sarkastisch an. Wieder einmal "überbietet sich geradezu in Gesten und Phantasien der Hingebung und Sorglichkeit". Schließlich werden Ricarda und Ermanno im März 1906 geschieden.

Nur langsam begreift Ricarda nun, dass Richard durchaus nicht gewillt ist, sich ebenfalls scheiden zu lassen, dass ihm seine Ehe vielmehr als Schutz vor ihren Ansprüchen dient. Schließlich ist es Richards Gattin Lilly, die die Scheidung will und auch durchsetzt. Zwar kann sich Richard nun noch eine Weile in Ausflüchte retten, doch kommt er am 6.7.1907 nicht mehr umhin, Ricarda zu heiraten. Womit die Liebesgeschichte an ihr Ende gelangt ist. Der Rest ist ein Ehekrieg. 1912 wird die Ehe wieder geschieden. 1913 heiratet Richard erneut, 1914 stirbt er. Spricht Ricarda in späteren Jahren von "meinem verstorbenen Mann", so ist Ermanno Ceconi gemeint.

Titelbild

Anne Gabrisch: In den Abgrund werf ich meine Seele. Die Liebesgeschichte von Ricarda und Richard Huch.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2000.
320 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3312002648

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