Monolog eines Wahnsinnigen

Kjell Johanssons Romanbiographie "Gogols Welt"

Von Jan ChristophersenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Christophersen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An Hochachtung und Anerkennung hat es Gogol bereits zu Lebzeiten nicht gemangelt. Puschkin verehrte ihn, ,schenkte' ihm sogar zu zweien seiner Werke die Ideen, zu der bitterbösen Komödie "Der Revisor" und seinem einzigen unvollendeten Roman "Die toten Seelen". Tolstoi ließ ihn viele Jahre in seinem Haus in Moskau leben, versuchte ihn zu fördern, wo es nur ging. Und von Dostojewski ist der berühmte Satz überliefert, der seinen Rang und seine Bedeutung in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts deutlich macht: "Wir alle sind aus Gogols 'Mantel' hervorgegangen."

Trotzdem war dieser Sohn ukrainischer Gutsbesitzer zeitlebens von tiefen Zweifeln geplagt, und es ist vor allem diese Seite des Autors, der Kjell Johansson in seiner Romanbiographie auf der Spur ist. Dabei bedient er sich eines Mittels, das im ersten Moment erstaunlich wirkt. Er wagt nämlich den Blick von Innen heraus, lässt Gogol ungefiltert und direkt in Ichform zu Wort kommen. Das verwundert, weil es wie eine leichte Anmaßung erscheint, als wäre es so einfach, gewissermaßen in Gogols Haut zu schlüpfen und auf diese Art seinen Gedanken nahe zu kommen. Aber Johansson ist sich der Künstlichkeit seines Anliegens bewusst, und deshalb denkt ,sein' Gogol wie er schreibt - oder genauer: wie er erzählt und fabuliert. Es ist ein langer innerer Monolog, in dem Gogol sein Leben rekapitulieren lässt. Viel wird dabei erzählt, sehr viel.

Künstlerromane haben ja immer etwas Selbstreflexives. Wo vom Künstler im allgemeinen oder auch, wie in diesem Fall, von einem ganz bestimmten die Rede ist, fließen naturgemäß eigene Erfahrungen und Sichtweisen ein. Es ist eine Art Spiel mit der Identifikation. Hier ist es das Fabulieren, in dem sich beide Künstler treffen, das sie verbindet. Beide, Gogol wie Johansson, suchen im Erzählen das eigentliche Leben, aber beide kennen gleichzeitig den Kontrast, der zwischen Phantasie und Wirklichkeit besteht. Deutlich wird diese Parallele insbesondere in Johanssons autobiographischem Roman "Der Geschichtenmacher", der ein großer Verkaufserfolg war und in dem immer aufs Neue die schöne Welt der Geschichten beschworen wird, die der stark trinkende Vater der Familie erzählt, und die für das Kind eine bessere Form des Lebens bedeutet, eine Gegenwelt. "Gott, was ist unser Leben!" heißt es in einer Novelle Gogols. "Ein ewiger Zwiespalt zwischen Traum und Wirklichkeit!" Und Johansson lässt seinen Gogol über sich selbst feststellen: "Mein Leben hängt zusammen mit der Erzählung meines Lebens."

Gogol erträgt diesen Zwiespalt nicht. Seit frühester Jugend ist er von seiner Sendung überzeugt, die ihn nach seiner Vorstellung zu einer für die ganze Menschheit nützlichen Tätigkeit vorbestimmt, doch sieht er sich später der Undurchführbarkeit dieses romantischen Zukunftstraumes ausgesetzt. Nach dem Höchsten strebend, bleibt er auf eine kindliche Art vom Urteil des Publikums abhängig, dem nicht jeder seiner eingeschlagenen Wege zusagt. So wandelt er sich vom bissigen Gesellschaftskritiker und Gegner der Leibeigenschaft zum religiösen Mystiker und sturen Verteidiger des Zarentums, das er zuvor aufs schärfste bekämpft hat. Unverstanden und von seinen eigenen Fähigkeiten nicht länger überzeugt, ja sich einer "Sünde" vor Gott bewusst, geht er am Ende sogar gegen das vor, was ihm bis dahin das Leben bedeutet hat: gegen sein Schreiben. Er verbrennt in einem Anfall religiösen Wahnsinns den zweiten Teil der "Toten Seelen". Wenige Tage später stirbt er.

Johansson macht die Zerrissenheit dieses großen russischen Erzählers auf die wahrscheinlich einzig mögliche Weise erfahrbar: durch Geschichten. Auf diese Art wird klar, welche Kraft, aber auch welche Gefahr in ihnen liegt und wohin eine Phantasie führen kann, die keine Grenzen kennt. "Glücklich, wer eine solche Phantasie hat", sagen die Leute im Roman über Gogol. Seine Antwort lautet: "Glücklich? Ich weiß nicht, ob es das richtige Wort ist."

Wenn die Lektüre dieses Romans bisweilen aber etwas mühsam ist, obwohl ständig und variationsreich erzählt wird, so liegt das einerseits an der Gogol angelehnten Schreibweise, die leicht ins Pathos verfällt, andererseits am Fehlen einer Eigenschaft, die Gogols Texte immer ausgemacht hat: des Humors. Über weite Strecken herrscht hier ein melancholischer, verzweifelter Grundton vor, der wenig Raum für Ironie und bissige Satire bietet. Ihnen kam nach Gogol die wichtige Aufgabe zu, "das ganze gewaltige, vorbeirauschende Leben zu überblicken, es durch das für das Leben sichtbare Lachen und der für die Welt unsichtbaren Tränen zu schauen". Diese Möglichkeit hat Johansson diesmal leider kaum zu nutzen gewusst, nachdem er im "Geschichtenmacher" bewiesen hat, das er auch dies versteht. Gogol bleibt beinahe durchgängig der resignierte Wahnsinnige, der am Leben und an der Kunst scheitert und der in den letzten Worten seines Monologs das eigene Ende erkennt: "Ich habe alles erzählt."

Titelbild

Kjell Johansson: Gogols Welt. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Alken Bruns.
Claassen Verlag, München 2000.
359 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3546001990

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Titelbild

Kjell Johansson: Gogols Welt. Roman.
Übersetzt aus demSchwedischen von Alken Bruns.
Ullstein Taschenbuchverlag, München 2001.
368 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3548601448

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