Ein kleines bisschen Langeweile

Erich Loests Nachdenkereien über die deutsche Gegenwart

Von Daniel GerberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Gerber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Buch, von dem es schon im Klappentext heißt, es enthalte "nicht nur Gardinenpredigten", fasst man zunächst einmal mit spitzen Fingern an. Da aber "auch immer wieder originelle Vorschläge" versprochen werden, wagt man den Versuch und liest die ersten der rund 40 Essays. Immerhin handelt es sich beim Autor um Erich Loest, den "gesamtdeutschen Volksschriftsteller" und Träger des Bundesverdienstkreuzes, der dem Leser "respektlose Bemerkungen über Kultur und Politik" verspricht.

Abgesehen von einigen Reden enthält die Sammlung überwiegend Beiträge, die in den vergangenen fünf Jahren in Zeitungen veröffentlicht wurden. Sie haben meist einen tagespolitischen Bezug, von dem Erich Loest jedoch schnell abkommt und Begebenheiten aus der deutschen oder der eigenen Vergangenheit erzählt. Manchmal fällt beides zusammen, dann lesen sich seine Erinnerungen an die Einweisung ins Gefängnis oder seine bittere Erfahrung mit einem Freund, der sich als Stasispitzel entpuppte, interessant. Wenn er jedoch seitenlang über Probleme referiert, in der DDR eine Karl-May-Biographie zu veröffentlichen oder sich wohlig an seine Zeit bei der Leipziger Volkszeitung erinnert, überblättert man auch schon mal eine Seite und wünscht sich die Texte weniger selbstbezogen.

Ganz schlimm wird es, wenn Loest sich in Komik versucht. Etwa seine Entdeckung einer vermeintlich nach ihm benannten Straße in Bonn, der Loestraße, anlässlich derer er sich wundert, was denn nun eine "Raße" sei. Übertroffen wird dieses köstliche Wortspiel nur noch von seiner - auf Thomas Brussig gestützten - Vermutung, im November 1989 habe auf dem Berliner Alexanderplatz gar nicht Christa Wolf, sondern die Eislauftrainerin Jutta Müller gesprochen. Diesen Scherz hielt er schon für dermaßen gewagt, dass er nicht umhin konnte, unter diesen Artikel "Vorsicht, Ironie!" zu notieren. Überhaupt, diese Nachträge unter den Texten, in der Art eines verspäteten Postscriptums: Betitelt sind sie mit "Danksagung", "Bitterböser Nachtrag", "Nüchternes Resümee" oder auch mal neckisch mit "Besserwissen". Richtig Neues bringen sie nicht, dazu ist der Abstand zwischen der Entstehung der Artikel und der Kommentierung für diesen Sammelband zu kurz, meist nur zwei Jahre.

"Träumereien eines Grenzgängers": Der Titel dieser Sammlung ist nur zur Hälfte wahr. Wahr, weil der Schriftsteller Erich Loest ein Grenzgänger gewesen ist. Zunächst in der DDR, wo er sich als "faschistischer Provokateur" betiteln lassen musste und nach einem provozierenden Artikel einige Jahre als politischer Häftling in Bautzen einsitzen musste. Später, nach erzwungener Ausweisung, in Westdeutschland; auch hier politische und gesellschaftliche Missstände kritisierend, ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten oder etwaige heilige Kühe zu nehmen. Falsch ist der Titel, da Loest nicht träumt, sondern informiert, beschreibt, bestenfalls schwärmt, oft aber nur lamentiert. So listet er mehrfach akribisch die Bezüge aus dem Amt geschiedener Politiker auf und fragt traurig, und wohl auch wütend, ob dieses Geld nicht besser für Goethe-Institute hätte verwendet werden können. Richtig erregen mag er sich aber nicht, weder über das üppige Salär der Politiker, noch über den Bedeutungsverlust der Literatur in der Gesellschaft. Man könnte dies die Abgeklärtheit und Altersweisheit eines Menschen nennen, der schon zu viel erlebt hat, um sich an derlei zu stören. Man könnte es aber auch den Versuch eines Verlages nennen, bereits veröffentlichte Artikel noch einmal gewinnbringend unters Volk zu bringen. Spannend ist das jedenfalls nicht.

Titelbild

Erich Loest: Träumereien eines Grenzgängers. Respektlose Bemerkungen über Kultur und Politik.
Hohenheim Verlag, Stuttgart 2001.
258 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3898500314

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