Das Buch zum Wein

Michael Böckler hat einen Reiseführer in Romanform verfasst

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer stirbt schon gerne in Italien? Eine Leiche am Gardasee, eine unverhoffte Erbschaft und eine Entführung ... Der junge Modefotograf Mark wollte das Leben eigentlich etwas leichter nehmen, doch die Ereignisse überstürzen sich, und was für Mark als eine unbeschwerte Romanze mit einer verführerischen Venezianerin begann, endet in einer Jagd durchs Veneto, bei der er Kopf und Kragen riskiert.

Vor dem Leser liegt - ja was eigentlich? Ein Roman? Ein Reiseführer? Oder beides zugleich? Oder am Ende keines von beiden? In sein "hoffentlich spannendes" Buch, so der Autor im Vorwort, habe er "systematisch eine Fülle von Informationen über das Veneto integriert". In der Tat: 'integriert'. Denn literarisch 'verarbeitet' wurde hier nur wenig. Der belletristisch interessierte Italien-Tourist verlangt nach ungefilterten Fakten! Er will geografisch genau informiert sein, wo die Handlung spielt, welche historisch interessanten Orte sie streift, was die Protagonisten essen, trinken und so fort. Wir ahnen schon: das kann, das muss ins Auge gehen.

Eine Leseprobe gefällig? Bitte sehr: "Seit vielen Jahren schon lebte sie in dieser Villa an den Hängen unterhalb von Albisano am Gardasee, an jenem östlichen Ufer, das die Riviera degli Olivi genannt wird und zum Veneto gehört." Daneben notiert die Randspalte: "VENETO. Norditalienische Region mit ca. 4,5 Mio. Einwohnern." Weiter im Text: "Bleiche beziehungsweise blasse Berge werden sie genannt, die Dolomiten". Die dazu gehörige Randspalte: "DOLOMITEN. Höchster Berg der venetischen Dolomiten ist die Marmolada (3343 m)." Oder: "Natürlich würde er mit einem Carpaccio alla Cipriani beginnen, jenem hauchdünn geschnittenen Rinderfilet mit einer feinen Salsa aus Mayonaise, Worcestershiresauce, frisch gepresstem Zitronensaft, Milch und frischem Pfeffer." Randspalte: "CARPRICCIO. Arrigo Capriani verrät das Originalrezept der Harry's Bar (s. Anhang)." - Ein Gericht, das sicherlich auch ohne den Umweg über die Literatur zu seinen Ehren gekommen wäre.

Und wirklich! Am Ende des Buches, das keines der geläufigen Italien-Klischees auslässt, findet sich ein siebzig Seiten starker Anhang mit allem, was nützlich und wissenswert ist, in einem Roman aber völlig deplaziert anmutet. Reisetipps, Kochrezepte, historische Exkurse, Weinsorten, Restaurant- und Hoteladressen - angesichts dessen kann der Text nicht anders als eine Schwundstufe einer sinnlich erfahrbaren Realität wirken.

Verkommt das gute alte Buch etwa immer mehr zum Transportmedium für fragwürdige Erlebniswerte, so dass es bald nur noch im Verbund mit Spezereien, CDs oder Flugtickets anzutreffen ist? Ich möchte dem Autor vorschlagen, gleich auch noch alle Golfplätze der Umgebung zu verzeichnen. Zu spät, denn selbst daran hat Böckler gedacht.

Aber was hat das Ganze mit Verdi zu tun? Wir blättern zurück: "Ein vertrautes Knistern kam aus den Lautsprechern. Wie oft wohl hatte sie diese Platte mit Giuseppe Verdis großen Arien schon gehört?" Randspalte: "VERDI. Giuseppe Verdi (1813-1901). Zu seinem hundertsten Geburtstag wurden 1913 die Opernfestspiele gegründet." Weiter im Anhang.

Titelbild

Michael Böckler: Verdi hören und sterben. Ein Roman aus Venedig und dem Veneto.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2001.
404 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3426195453

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