Auf der Suche nach dem Land, das ihm gehört

Woody Guthries Autobiographie "Dies Land ist mein Land"

Von Fabienne QuennetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabienne Quennet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Autobiographien gehören wohl mit zu den undefiniertesten Genres der Literatur: mäandernd zwischen Fakt und Fiktion lassen sie sich nur schwer fassen, doch vielleicht ist es gerade diese Unbestimmtheit, die Autobiographien so faszinierend machen.

Der Rückblick auf das eigene Leben findet meistens im Alter statt, wenn die Höhepunkte des eigenen Lebens oder die Erfolge und Misserfolge der eigenen Karriere überschritten sind und es an der Zeit ist, Bilanz zu ziehen. Um so erstaunlicher, dass die im Alter von 36 Jahren geschriebene Autobiographie des Songwriters und Folksängers Woody Guthrie 1943 unter dem Titel "Bound for Glory" veröffentlicht wird. Die jetzt auf Deutsch wiedererschienene Veröffentlichung in der Edition Nautilus, mit Illustrationen von Woody Guthrie und einem Vorwort des politisch engagierten Sängers und Songwriters Billy Bragg versehen, ist ein faszinierendes Dokument in vielerlei Hinsicht. In einer einfachen authentischen Weise vermischen sich in Guthries Autobiographie das Private mit dem Politischen, das Poetische mit dem Alltäglichen, ohne ins Pathos abzurutschen, aber auch nicht ganz ohne missionarischen Eifer.

Guthrie beginnt seine Autobiographie mit der Beschreibung seiner Erfahrung als Hobo, einem der vielen tausend herumfahrenden und arbeitsuchenden Tramps im Amerika der Depression. Das trockene Wetter, die Arbeitslosigkeit und die Nahrungsmittelknappheit in den Dust-Bowl-Staaten Oklahoma und Texas zwingen den 18-jährigen Guthrie, wie so viele andere, sich auf die Suche nach Arbeit und Geld zu machen. Mit seiner Gitarre unter dem Arm trifft er in den Waggons der Züge auf ein Sammelsurium heruntergekommener Typen, die vom amerikanischen Traum verlassen und jetzt auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Für viele seiner Mitreisenden ist der Weg aber schon zum Ziel geworden. Dem Mikrokosmos der amerikanischen Gesellschaft, dem "common man" Amerikas, begegnet Guthrie vorurteilslos und mit viel Sympathie für die Leiden derer, die keinen Platz in der Gesellschaft finden und sich deshalb einen neuen schaffen müssen.

In jenem Zug singt er mit den anderen Hobos das Lied "Bound for Glory", dort beginnt auch sein Rückblick auf seine Kindheit, die, geprägt von Armut und dem Wahnsinn der Mutter, kaum schöne Erinnerungen bewahrte. Die Jahre seiner Jugend verbringt er bei seinem Vater in Texas, wo er den Öl-Boom und seinen Niedergang erlebt und dann, von den schlechten Verhältnissen getrieben, seine Familie verlässt. Im letzten Kapitel kehrt er dahin zurück, wo er auch begonnen hat: alle im Waggon singen "Bound for Glory", eine Hymne des einfachen Mannes, zu dessen Stimme Woody Guthrie geworden ist. Trotz aller Widrigkeiten, angefangen von schlechtem Wetter bis hin zu feindseligen Polizisten und gewalttätigen und rassistischen Hobos, verliert Guthrie nie den Glauben an das Gute im Menschen und den Glauben an eine vielversprechende Zukunft: an den "American Dream". In diesem Sinne ist er ganz amerikanisch.

Seine Lieder, die später immer wieder als authentischer und wahrer Ausdruck der kollektiven Gesellschaft gedeutet worden sind, entstanden dort, wo Guthrie dem "folk spirit" der kleinen Leute begegnet ist und er seine Reiseerfahrungen in seinen Lieder verarbeitet hat. Als Folksänger und Dichter arbeitete er mit bekannten Melodien und alten Liedern, aus denen er etwas Neues machte. Gewerkschaftsnah und mit der kommunistischen Partei Amerikas verbunden, blieb Woody Guthrie immer ausserhalb des akzeptierten politischen Spektrums, ein Radikaler, der in den 60er Jahren großen Zuspruch fand und auch heute wieder aktuell ist. Mit der Hinterlassenschaft von tausend unveröffentlichten Liedern, die Nora Guthrie, Woodys Tochter, Billy Bragg zugänglich gemacht hat und die er dann in seiner Bearbeitung auf den zwei CDs "Mermaid Avenue" und "Mermaid Avenue Vol. 2" herausgebracht hat, wird der Liedermacher und politische Poet Guthrie neu entdeckt. Der 1967 verstorbene Songwriter Woody Guthrie (der Vater, des in den 60er Jahren bekannt gewordenen Arlo Guthrie, der mit dem Lied "Alice's Restaurant" seinen größten Erfolg hatte) hat viele Musiker nach ihm beeinflusst, u. a. Bob Dylan, Joan Baez, Bruce Springsteen, und Bono.

Ähnlich wie der große amerikanische Dichter des 19. Jahrhunderts, Walt Whitman zelebriert Guthrie in seiner Autobiographie Amerika als "the greatest poem". Und obwohl er die Probleme dieser Trampgesellschaft sieht, insbesondere den Rassismus und die Gewalt, stellt er die doch größtenteils demokratische Gemeinschaft der Hobos in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. In einer Welt, die in "have" und "have nots" unterteilt ist, singt Guthrie das Lied der Armen und der Unterprivilegierten, und das geht nicht ohne eine gewisse missionarische Haltung. So richtet er sich direkt an die ehrenwerten Bürger der Städte, wenn er sie ermahnt: "Du hast schon eine Million solcher Leute gesehen. Vielleicht hast du sie im wimmelnden Viertel deiner großen Stadt gesehen - der Kehrseite, die vollgestopft und übervölkert ist, dem schlimmen Teil, durch den man fährt. Vielleicht hast du dich schon gefragt, wo sie herkommen, wie sie essen, am Leben bleiben, was sie Vernünftiges tun, warum sie so leben? Diese Leute hatten mal Haus und Herd, genau wie du selbst, hatten Nachbarn und eine Arbeitsstelle, genau wie du. Dann stieß ihnen etwas zu und sie verloren alles. Sie wurden auf die weite einsame Landstraße gestoßen und sie sind da hinabgezogen, von Küste zu Küste, von Kanada bis Mexiko, auf der Suche nach einer neuen Heimat. Nun suchen sie für eine Weile in deiner Stadt. Da ist kein großer Unterschied zwischen dir und ihnen". Es sind diese und ähnliche Zeilen, die so typisch für den politischen Liedermacher sind, für die Stimme des "common man". In seinem wohl bekanntestem Lied "This Land is your Land" spricht er ganz ähnlich von "my people - as they stood hungry" und fragt sich, wem dieses Land nun eigentlich gehört. In ihrer letzten Konsequenz bleibt diese Frage auch in seiner Autobiographie unbeantwortet.

Titelbild

Woody Guthrie: Dies Land ist mein Land. Autobiographie. Mit Zeichnungen des Autors und Vorwort von Billy Bragg sowie einem Nachwort von Michael Kleff.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hans-Michael Bock.
Edition Nautilus, Hamburg 2001.
448 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 389401363X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch