Was vom Holocaust erinnert wird hängt davon ab, wie es erinnert wird

Die Erinnerungen der Wehrmachtsangehörigen Ilse Schmidt

Von Hanna ChristiansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Christiansen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sind die Autobiographien von Überlebenden des Holocaust längst Bestandteil literaturwissenschaftlicher Forschung, bleiben die seit 1989 zunehmend auf den deutschen Literaturmarkt drängenden Erinnerungen der Täter wissenschaftlich noch weitgehend unbeachtet. Nach Günther Jacob sehr zu unrecht, sieht er in dieser Form der "Oral History" doch die Umdeutung der Täter zu Opfern von Krieg und Gewalt, zu traumatisierten 'deutschen Überlebenden'.

Auch Ilse Schmidt nimmt in ihrem Buch "Die Mitläuferin. Erinnerungen einer Wehrmachtsangehörigen" gleich zu Anfang eine solche Verdrehung vor. Bereits in der Widmung stellt sie sich als Opfer der Roten Armee dar, die ihr Elternhaus besetzte und Hausrat und Fotos "auf die Straße" warf. Die Opferkategorie wird im Verlauf des Buches wiederholt herangezogen und kulminiert in der Metapher der vergrabenen und festverschlossenen Kiste, in der ihre traumatischen Erinnerungen verschüttet liegen. Dieses Bild ist fester Bestandteil der psychotherapeutischen Traumaforschung. Spricht der geneigte Leser Ilse Schmidt vielleicht nicht gleich den Opferstatus ab, so invalidiert doch die unangemessene Inanspruchnahme dieser Metapher die Erfahrungen und Traumata Überlebender und erhält somit einen nicht zu unterschätzenden politischen Gehalt, denn der von Schmidt herangezogene Traumatisierungsbegriff steht im Widerspruch zum Geschilderten: Störten nicht die paar öffentlich Erhängten in Terazije oder das Verschwinden der Ghettojuden aus Rowno, läsen sich Schmidts Erinnerungen wie ein bewegter Reisebericht. Ilse Schmidt beginnt im November 1940 als Stabshelferin der Wehrmacht in Paris zu arbeiten, lernt dort fesche Leutnants und Majore kennen, vergnügt sich in Kaufhäusern und im Ballett und führt in Frankreich ein schönes Leben. In Serbien ergeht es ihr nicht viel anders; Pfirsiche wachsen im Garten der Wehrmachtsvilla, Liebschaften machen das Leben prickelnder, und es kostet sie nicht viel Anstrengung, die Realität des Krieges aus dieser Idylle zu verbannen. In der Ukraine machen ihr zwar der schwere Winter und die Niederlage bei Stalingrad zu schaffen, doch findet sie sich bald darauf schon in Rom wieder, wo sie an die Leichtigkeit des Pariser Lebens wieder anknüpfen kann.

Nach der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen kommt Ilse Schmidt in ein Internierungslager und findet auch dort ihre Lebensfreude wieder. Sie kauft sich ein rosafarbenes reinseidenes Nachthemd und läuft mit diesem Einkauf "beschwingt" ins Lager zurück. Alte Seilschaften sorgen außerdem schnell dafür, dass sie nicht lange im Lager bleiben muss, sondern als 'Kranke' in das Lazarett Göppingen eingewiesen wird, von wo der Weg ins heimische Ruhlsdorf nicht mehr weit ist.

Schmidts Kriegsautobiographie, die - authentische Erinnerung suggerierend - durchgängig im Präsens gehalten, ist frei von kritischen Reflexionen über den Holocaust, den Vernichtungskrieg der Wehrmacht und die Schuld der Deutschen. Besonders auffällig ist dies im Kapitel über die Ukraine. Im Oktober 1941 hatten deutsche Truppen fast die ganze ukrainische Republik erobert und im Rahmen ihres 'Generalplans Ost' die Ermordung hunderttausender Juden und zehntausend anderer Bürger begonnen, um Platz für eine deutsche Siedlung zu schaffen. Zwar schiebt sich zwischendurch ein paar Mal die 1999 schreibende Autorin in den Text, dies allerdings nur, um dem Leser ihre emotionale Aufgewühltheit angesichts der Rückerinnerung an die Zeit mitzuteilen. Das völlige Fehlen einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Terrorsystem der Nationalsozialisten und die Unangemessenheit ihrer Opferstilisierung lassen die angedeutete Reflexion zur Farce verkommen.

Dem Aufbau Verlag muss man hoch anrechnen, dass er an das Ende dieser Wehrmachtserinnerungen einen Aufsatz von Gaby Zipfel gestellt hat, der sich mit Frauen als Akteurinnen des Nationalsozialismus auseinandersetzt. Wo Ilse Schmidt in ihrer Autobiographie den "Tatsachen ins Gesicht sehen" wollte, deckt Gaby Zipfel die Beteiligung der Frauen an der nationalsozialistischen Politik auf. So wird dem Leser klar, dass Frauen wie Ilse Schmidt Identitätsangebote der Nazis genutzt, den Krieg der Wehrmacht als Mitwisserinnen rassistischer Vernichtungspolitik und in verschiedenen Funktionsbereichen mitgemacht haben und Zeuginnen der Judenvernichtung waren. Bleibt zu hoffen, dass dieses verlagspolitische edukative Ziel sich bei der Leserschaft durchsetzt und der im Haupttext zu findenden Verzerrung des Geschichtsbildes entgegenwirkt.

Titelbild

Ilse Schmidt: Die Mitläuferin. Erinnerungen einer Wehrmachtsangehörigen.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999.
191 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 335102486X

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