Ein Monument zu neuem Leben erweckt

Peter Stein liest den zweiten Teil von Goethes "Faust"

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein gewaltiges Unternehmen hatte sich der Regisseur und Intendant Peter Stein vorgenommen: Die Aufführung von Goethes "Faust. Der Tragödie zweiter Teil" in ungekürzter Form. "Das Ganze ist viel zu groß und erfordert einen Regisseur wie es deren nicht leicht gibt", so Goethe selbst über eine mögliche Aufführung seines Werkes. Die Probleme, vor die Stein sich gestellt sah, waren gewaltig: Das Stück hat eine Länge von sechs Normalaufführungen, macht große räumliche Veränderungen notwendig, verlangt Höchstleistungen von den Schauspielern und bedeutet darüber hinaus einen erheblichen finanziellen Aufwand. Doch die Idee sollte Wirklichkeit werden. Im September 1999 begannen die Proben, am 22. Juli 2000 fand die Premiere statt. Abgesehen von der anthroposophisch verfremdeten Aufführung als Weltanschauungslehrstück am Goetheanum in Dornach war die Inszenierung des Faust auf der EXPO 2000 in Hannover durch Peter Stein die erste vollständige Bühnenfassung des Goetheschen Alterswerkes.

Im Zuge der Vorbereitung entstand auch die beim Münchner HörVerlag erschienene, vom Bayerischen Rundfunk produzierte Lesung des "Faust II". Peter Stein liest den 12.110 Zeilen umfassenden Kompletttext mit einer ungeheuren Energie, Emotionen zeigend. Die Rezitation Steins bringt die Tragik, die Trauer, aber auch die Hoffnung und Freude des "Faust" zum Tragen. Virtuos meistert er die Schwierigkeiten des Textes, den oftmaligen Wechsel des Metrums, die onomatopoetischen Tücken. Man denke nur an die Verse Ariels: "Horchet! horcht dem Sturm der Horen! / Tönend wird für Geistesohren / Schon der neue Tag geboren. / Felsentore knarren rasselnd, / Phöbus' Räder rollen prasselnd / Welch Getöse bringt das Licht! / Es trommetet, es posaunet, / Auge blinzt und Ohr erstaunet, / Unerhörtes hört sich nicht."

Nicht weniger schwierig ist der Wechsel der Sprache Helenas vom klassischen Trimeter zum nordischen Blankvers, das Wechselspiel zwischen ihr und Faust: "Die Gegenwart allein - / ist unser Glück / Schatz ist sie, Hochgewinn, Besitz und Pfand". Peter Stein schöpft die Vielfalt der klanglichen Darstellungsmöglichkeiten aus und versteht es, dem Werk Leben und Plastizität einzugeben. Man begleitet Steins gelungenen Spaziergang von der Antike über das Mittelalter zur Faustschen Gegenwart mit wachsender Spannung.

Ein gewaltiges Unterfangen erwartet auch den Hörer. Auf sechs Kassetten mit über 420 Minuten Spielzeit kann er sich in das monumentale Werk hineinversetzen, kann seine Fantasie spielen lassen und die Reise "durch die Hölle in den Himmel" miterleben.

Abgerundet wird die Hörbuchfassung von "Faust II" durch zwei Booklets: zum einen die von Stein selbst verfasste Entstehungsgeschichte der Inszenierung, zum anderen Anmerkungen zu "Faust. Der Tragödie zweiter Teil", zu seiner Geschichte und seiner Eignung als Lesetext, verfasst von Anne Bohnenkamp-Renken, Dozentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Goethes "Faust" also als Text zum Vorlesen - "nicht so sehr ein Drama als ein großes Gedicht."

Titelbild

Johann Wolfgang von Goethe: Faust Der Tragödie zweiter Teil. 6 MCs. Gelesen von Peter Stein.
Der Hörverlag, München 2000.
43,50 EUR.
ISBN-10: 3895846155

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch