Wenn ich ein Nichts bin, bin ich eine Macht?

Slavoj Zizek und die Wiederbelebung des cartesianischen Monsters

Von Britta HeimbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Britta Heimbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wenn Sie verstehen wollen, wie mein Denken funktioniert, dann lesen Sie Lacan" - so forsch, dabei nicht übermäßig von sich eingenommen stellt sich Slavoj Zizek in dem Filmportrait "Liebe Dein Symptom wie Dich selbst" vor. Das funktioniert umgekehrt fast noch besser: Wer Lacan verstehen will, der lese Zizek. Wer Zizek zudem life erlebt hat, weiß, dass der atemlose Schreibstil, bei dem man selbst beim Lesen vermeint, den Schweiß von seiner Stirn tropfen zu sehen, aus der Feder eines Rede-Maniacs stammt und dass man von dessen Rede-Performances ebenso in Bann geschlagen wird, wie man dem Sog der Assoziationen in seinen Büchern nicht entfliehen kann. Es gibt nur ein Entweder-Oder: Entweder man ist von der ersten Zeile, von der ersten ungeheuerlichen These oder Anekdote dermaßen irritiert und lässt es ganz - oder man liest weiter, fasziniert.

Es scheint allerdings, als habe man das aktuelle "Unbehangen im Subjekt" bereits in einigen vorhergehenden Büchern Zizeks gespürt: "Der Erhabenste aller Hysteriker. Psychoanalyse und Philosophie des Deutschen Idealismus I", "Verweilen beim Negativen. Psychoanalyse und die Philosophie des deutschen Idealismus II", "Die Nacht der Welt. Psychoanalyse und Deutscher Idealismus" (als Kompilation aus den beiden vorherigen). Seine Bücher scheinen sich mit den immergleichen Themen zu befassen, ebenso wie seine Argumente in heillosem Tempo um ein immer gleichsam abwesendes Zentrum kreisen. Konsequent erweist sich eine solche Strategie jedoch im Licht der Tatsache, dass, ähnlich wie "Lacan. Der absolute Herr und Meister" (vgl. Mikkel Borch-Jacobsen), Zizek Psychoanalyse schreibend in die Tat umsetzt.

Im "Unbehagen im Subjekt" geht Zizek weniger essayistisch vor als bisher. Wenn sonst der unterhaltsam brisante Cocktail aus psychoanalytisch gedeuteten Krimis, Splatter movies, Comics und ethisch-politischen Zutaten bisweilen Kopfschmerzen bereitet hat, so erzeugt eine diesmal oft schwer verdauliche Bowle aus hauptsächlich psychoanalytischen und philosophischen Brocken ein ernsthaftes "Unbehagen im Subjekt". Welche Erkenntnis, welche veränderten Sichtweisen bringt dabei eine Zizeksche Lesart durch die spezifische Brille der Psychoanalyse Lacans? Zizek bezieht Stellung. Er weist die Brisanz und die Schlagkraft der psychoanalytischen Methode in allen Lebensbereichen nach, sei es Ethik, Philosophie, Politik, Populärkultur oder Klassische Musik.

Methodisch zielt Zizek dabei jedoch nicht darauf, Philosophie zu psychoanalysieren, sondern einzig darauf, jeweils mittels der einen Wissenschaft die blind spots der anderen aufzudecken und neu zu definieren. Es geht also um ein erhellendes Gegeneinanderlesen der beiden Wissenschaften. Es soll Licht in die philosophischen Implikationen der Psychoanalyse gebracht und bestimmte Theoreme der Psychoanalyse sollen auf deren philosophische Wurzeln zurückverfolgt werden. Genau das ist, nach Meinung Zizeks, auch ein Grundanliegen Lacans. Laut Lacan verweisen die Grundzüge des Menschen - Hysterie und Perversion - auf eine bestimmte philosophische Position, eine bestimmte Beziehung zur Welt. Während Lacan so im allgemeinen mit der Parole "Rückkehr zu Freud" in Verbindung gebracht wird, ist es doch eigentlich auch eine gleichzeitige Abkehr von Freud, die in seinem Bestreben liegt, die Psychoanalyse von ihrem "Biologismus"-Vorwurf zu befreien. Ihm - und dabei wiederum auch Zizek - geht es um das Beschreiben und Aufdecken von Komplexen statt von Trieben, um Strukturen statt um Begierden. So ungemein dekonstruktivistisch das anmuten mag - es geht nicht um Kultur- und Ideologiekritik im herkömmlichen Sinne, sondern im strukturalistischen Sinn darum, Symptome unter die psychoanalytische Lupe zu nehmen, sie aus der verzerrten Perspektive des "looking awry" deutlicher sehen zu können, Psycho-Analyse und nicht Psycho-Synthese zu betreiben. Was also wäre, um mit Zizek zu fragen, wenn Pschoanalyse den konstitutiven Wahnsinn der modernen Philosophie erwiese?

Totgesagt und doch allgegenwärtig, ist es nun das cartesianische Subjekt, das durch die Philosophie der jüngsten Vergangenheit, durch politisch-soziologische Debatten der Gegenwart wie auch durch Zizeks Buch "Das Unbehagen im Subjekt" geistert. Es wird verantwortlich gemacht für alle gegenwärtigen Übel, von der patriarchalen Unterdrückung bis hin zur ökologischen Krise. Dem Mythos vom absoluten, selbsttransparenten cartesianischen Subjekt daher zu entsagen und diesen Mythos zu entweihen - das hat der (vor allem französische) Dekonstruktivismus für uns erledigt. Mit wiedererkennendem Nicken lausche man Zizek, der das zum Gemeinplatz gewordene Argument in "Das Unbehagen im Subjekt" so zusammenfasst: "Natürlich, das cartesianische Ego, das selbsttransparente Subjekt des Denkens, ist eine Illusion; seine Wahrheit ist dezentriert, gespalten, begrenzte Subjekte in einen kontingenten, nicht-transparenten Kontext geworfen, und das macht die Psychoanalyse sichtbar."

Dann ist also alles in Ordnung. Das vermeintlich einheitliche und totalitäre, selbsttransparente Subjekt des deutschen Idealismus tot - es lebe das dezentrierte der Postmoderne, das gespaltene Subjekt der Psychoanalyse?

Das psychoanalytische gegen-den-Strich-Denken und die assoziativ zirkuläre Argumentationsakrobatik eines Zizek würden jedoch verkannt, nähme man an, man könne an dieser Stelle gutgläubig beim nickenden Zustimmen verbleiben. Und richtig, die Zizeksche - und in diesem Sinne auch Lacansche - "zusätzliche Schraubendrehung" lässt nicht lange auf sich warten. Das bedeutet, dass nach Zizek weder Befürworter noch Kritiker der Idee eines "einheitlichen transzendentalen Subjekts" den explosiven ex-timen Kern des cartesianischen Subjekts - und dessen Radikalisierung durch eben den deutschen Idealismus - erfasst haben. Es ist der dem Konstrukt des cartesianischen Cogitos inhärente Wahnsinn, der übersehen wurde. "Wie kann ich wissen, dass ich die Realität nicht halluziniere?" (Descartes) - dies ist nach Zizek die beunruhigende und bestimmende Frage der Philosophie der Neuzeit. Sie dokumentiert einen fortwährenden Kampf gegen die Bedrohung durch die in den Wahnsinn treibende Vorstellung, dass das, was wir wahrnehmen, vielleicht gar nicht das ist, was es zu sein scheint. Nicht einkalkuliert ist das Klopfen an der Tür durch das Lacansche Prinzip des Realen, das uns jäh aus einem Traum namens "Realität" reißt. Wenn das cartesianische Subjekt das Subjekt des Unbewussten ist, wird es ungerechtfertigter Weise zur Schreckgestalt der neuzeitlichen Philosophie gestempelt. Entgegen der oben dargelegten Auffassung startet die Lacanschen Psychoanalyse à la Zizek daher ein Projekt zur Rehabilitierung des "cartesianischen Monsters". Es versucht, die moderne Dimension einer cartesianisch-kantianischen Subjektivität, "ein Subjekt bar aller Subjektivität" zu denken.

Unter dem Motto "Erkenne deinen Feind" begibt sich Zizek so im ersten Teil des Buches auf die psychoanalytische Reise durch das philosophische Universum der Neuzeit, um vorherrschende Positionen in Sachen Subjektivität zunächst zu erörtern, Übereinstimmungen und Divergenzen darzustellen. Der biologistisch-evolutionäre Ansatz der Kognitionswissenschaftler (Dennett) wird gegen Vertreter einer Dekonstruktivismus-Kritik (Henrich, Frank), die sie mit den Waffen des deutschen Idealismus verfechten, ins Feld geführt, nur um schließlich beide mit den Argumenten Lacans zu schlagen. Denn da ist wieder ein blind spot: Beide Seiten verkennen die subjektkonstituierende Funktion des Unbewussten, das nach Lacan etwas De-substantialisiertes ist, ein "Pandämonium widerstreitender Kräfte", das sich jederzeit in unserem Sprechen manifestieren kann. Es ist eben jenes, was sich von Anfang an gegen die Forderungen des Realitätsprinzips, des Symbolischen sträubt. Es ist das Mephistophelische, was stets verneint und was doch genau der lebensnotwendige, inhärente Motor eines jeden Menschen ist.

In denselben blind spot gerät im zweiten Teil des Buchs auch Heidegger mit seiner kritischen Lesart der Kantschen Version der cartesianischen Subjekt-Bestimmung. Das Problem, das Zizek an Heideggers Ontologie ausmacht, ist dessen Versuch, das cartesianische Monster zähmen zu wollen, indem er es an einen festen Punkt, an ein "In-der-Welt-Sein" kettet. Es ist sein irriger Versuch, das rationale Cogito dadurch überwinden zu wollen, dass er es in einen kontingenten Lebenskontext, in die Situation des "Geworfen-Seins" versetzt. Zwar richte Heidegger das Augenmerk auf die Kategorie der Kantschen transzendentalen Einbildungskraft, er vergesse dabei jedoch, so Zizek, dass es eben jene Einbildungskraft ist, die, wie das Unbewusste, wie das Reale, eine "Lücke in das ontologische Gefüge des Universums schlage". Indem Heidegger den hermeneutischen Versuch startet, das Subjekt als sinnsuchend und im Vorlauf zum Tode sinnstiftend darzustellen, vergesse er den Wahn-Sinn des "prä-ontologischen Abgrunds" des "Un-Imaginierbaren", den Kant in seiner radikalen Dimension erfasst habe.

Als Antwort auf die phänomenologische Unmöglichkeit, das Subjekt außerhalb seiner selbst zu verorten, zielt Zizek im Gefolge Lacans auf eine innere De-kontextualisierung, auf ein Sich-Entziehen in das negative Auge der Subjektivität. Eben deshalb ist es auch der deutsche Idealismus, auf den Zizek immer wieder zurückgreift. Denn bereits hier, in den idealistischen Theorien des Selbstbewusstseins, macht Zizek die grundlegende Struktur eines "Unbewussten" aus. Entgegen dem allgemeinen, stark vereinfachenden und oberflächlichen Vorurteil, das transzendentale Subjekt sei der totalitäre und einheitliche (Einheit stiftende?) Quell allen Seins und damit prinzipiell zu verurteilen, ist es vielmehr die Struktur eines Subjekts, das als unwiderruflich und unüberwindbar gespalten konzipiert ist, die Zizek hier freilegt. Zizek dabei auf dessen Argumentationsreise zu folgen, bedeutet, sich auf ein Denkkarussell in voller Fahrt zu begeben - immer in Gefahr, vom Schwindel des nicht (mehr) Verstehens ergriffen zu werden. Dennoch, sich in ein solches Gleiten entlang der berühmten Lacanschen Signifikantenkette zu stürzen, ist zu verlockend. Dabei erweist sich im "Unbehagen im Subjekt" einmal mehr das cartesianische "Ich denke" als das Signifikat, das einer fortwährenden Verschiebung unterliegt. Daraus ergeben sich folgende Parallelen: Die Leere der Subjektivität ist nichts anderes als das Phantasma des Realen, die "Nacht der Welt" (Hegel). Die Subjektivität des "Ich denke, also bin ich" entspricht dem imaginären Ort eines Objet a. Es steht für das Begehren nach einer Fülle, nach der Erkenntnis eines Kerns des Seins, eines Ortes, an dem - könnte man ihn jemals einnehmen - es möglich wäre zu sagen: "Ich bin dort, wo ich denke", oder nach Lacan: "Ich bin dort, wo ich spreche." Genau das aber ist unmöglich. Und genau deswegen ist auch das cartesianische Subjekt das Subjekt des Unbewussten - es ist in der Sprache und aufgrund der Sprache immer schon de-zentriert, uns nicht direkt zugänglich.

Das Paradox des Selbstbewusstseins besteht also gerade darin, dass ich mir selbst gerade insofern bewusst bin, als ich für mich selbst, bzw. einen realen Kern meines Seins unerreichbar bin. Das Subjekt ist ein Abgrund der Freiheit, eine Abkopplung von dem Symbolischen, oder nach Lacan: "Ich denke, wo ich nicht bin, also bin ich, wo ich nicht denke."

Trotz allem - so wenig Lacan nur mit der versimplifizierenden Parole "Rückkehr zu Freud" abzustempeln ist, geht es auch Zizek nicht nur um eine bloße Rückkehr zum Idealismus. So wie Lacan die Brisanz und die übersehenen Implikationen der zentralen Freudschen Ideen (das Subjekt, das Unbewusste) zu Tage fördert, will Zizek die Essenz des Idealismus herausdestillieren. Descartes, Kant, Hegel, Fichte, das sind nur die Anhaltspunkte auf dem Weg in eine neue Galaxie, ein Lacansches Universum, das gespalten ist in eine (objektive) Realität und ein ihr innewohnender blind spot, ein ihr inhärentes Reales, dem Ort der Phantasmen - eben das Unbewusste. Nicht um ein "Verweilen beim Negativen" (Zizek) in der "Nacht der Welt" geht es also, sondern um eine Durchquerung dieser Negativität - oder, mit Lacan gesprochen, um eine traversée du phantasme. Allerdings geht es bei einer solchen Durchquerung des Abgrunds nicht darum, die Phantasmen loswerden zu wollen, nicht darum, die "eigentliche" Realität, das Reale als solches kennenlernen zu wollen, denn das wäre nicht nur unerträglich, sondern würde zudem zu einem Zusammenbruch unserer gesamten Konstruktion von Realität führen. Im Gegenteil: Es gibt keine Realität ohne Phantasie. Keine Existenz, keine Freiheit ohne den Schauplatz des Anderen, des dem Subjekt nicht zugänglichen Phantasmas, ohne die fiktive Gestaltung einer Form - sei es ein fiktives "Ich", sei es die narrative Struktur einer Literatur- bzw. Filmgeschichte. Aber die "Nacht der Welt" bedeutet auch: ein sich Zurückziehen an den Nullpunkt, eine Ablösung von der "Realität", vom Symbolischen, eine absolute Konzentration von Subjektivität, ein Rein-Tisch-Machen à la Descartes. "Wenn ich ein Nichts bin, bin ich eine Macht?" Diesen berühmten Ausspruch des Ödipus benutzt Zizek schließlich als ultimative Matrix der Subjektivität: "du wirst nur 'Etwas' (du wirst nur als Subjekt gezählt), wenn du den Nullpunkt durchschritten hast, nachdem du dich von allen 'pathologischen' (im Kantschen Sinn empirischen, kontingenten) Merkmalen, die deine Subjektivität begleiten, entfernt hast und du daher zu einem 'Nichts' reduziert bist - 'ein Nichts, das Etwas zählt' ist die konziseste Formulierung des Subjekts."

"Das Unbehagen im Subjekt" wird so ausgelöst durch den verzerrten Blick auf den "Riss". Es ist die Erkenntnis der dem Subjekt innewohnenden Spaltung, des Wahnsinns, des "diabolisch Bösen" (Kant) und eben nicht eines ursprünglichen "In-der-Welt-Seins". Entscheidend ist, trotz des Begehrens des anderen, die Distanz zwischen der Lebens-"Realität" und dem ihr innewohnenden Realen zu wahren.

Dem verzweifelten Versuch, diesen wohlgemerkt konstitutiven Wahnsinn, den Abgrund des Realen einzudämmen, erwächst im letzten Teil des Buches eine ethische Subjektivität. Zizek zeichnet die Grundprämissen der Kantschen Ethik nach und die allgemein daran geübte Kritik vor allem durch Hegel und Lacan. Der entscheidende Schritt liegt in Zizeks Lesart von Lacans Aufsatz "Kant mit Sade", nach dem das moralische Gesetz Kants eben nicht mit dem Über-Ich identifiziert werden darf. Die Forderung nach der moralischen Tat schlechthin ist nicht möglich, nur ein unendlicher Annäherungsversuch an eine solche. Es gibt keinen freien Willen, der frei von allen pathologischen (eigennützigen) Antrieben wäre. Die Opposition von Gut und Böse muss dabei neu gedacht werden. Nach Lacan ist das "Diabolisch Böse" inhärent im ethischen Bereich angesiedelt - als urverdrängte Gründungsangst, die nicht ein Mangel an Gutem, nicht ein Mangel an Willensschwäche darstellt, sondern aktiv gegen das Gute angeht. Auf der Spur Kants, jedoch wiederum psychoanalytisch gesehen, sind Gesetze daher nichts als eine notwendige Limitierung, die sich das Subjekt selbst auferlegt. Sie halten es davon ab, zu nahe an das Objekt seines Begehrens, das Phantasma des objet a, zu gelangen. Wichtig bei dieser Lesart der Ethik Lacans als einer Ethik des Realen (da sich auf das Reale beziehend) ist dabei also, die Trennung zwischen der (objektiven) Realität und dem Realen, das unser Handeln je immer schon "pathologisiert", aufrecht zu erhalten.

Daher kann die Lacansche Maxime der psychoanalytischen Ethik - handle konform dem Begehren, das dir innewohnt (ne pas céder sur son désir) - laut Zizek als eine andere Version der Kantschen Maxime "Tue deine Pflicht" gelesen werden. Prinzipiell ist das Subjekt also erst in dem Augenblick schuldig, in dem es die "objektive Notwendigkeit" akzeptiert und die ihm von außen auferlegten Pflichten genießt.

Die eingangs paraphrasierte These muss also revidiert werden, denn, so der propagierte "Kritiker der Postmoderne" Zizek, "es ist überhaupt nichts Subversives daran, sich ständig neu zu erfinden." Im Gegenteil: Das fast schon hysterische Reflektieren, die augenscheinliche Toleranz und der Liberalismus sind das postmoderne Opium für das Volk. Es macht blind für die Tatsache, dass die nach Zizek tatsächlich wichtigen Themen (fortschreitende Globalisierung durch unaufhaltsamen Kapitalismus, ökologische Krise, Aufarbeitung des Holocaust, der Krieg auf dem Balkan) von der westlichen Gesellschaft weiterhin verdrängt werden. Fortwährende Selbst-Reflexivität verdeckt den eigentlichen, den phantasmatisch anderen Kern: die völlige Leere des Subjekts und unsere volle Verantwortung dafür, diese Leere eben nicht zu über-winden, wohl aber sie zu durchqueren, sie zu akzeptieren als "Antwort des Realen" in unserem Leben und dem gemäß authentisch und ethisch zu handeln.

Es ist also ein Irrtum zu glauben, dass sämtliche totalitären Erscheinungen des 20. Jahrhunderts, Stalinismus, Faschismus etc., als eine konsequente Folge des Nihilismus der neuzeitlichen Subjektivität zu verstehen sind. Die Erklärung liegt vielmehr umgekehrt darin, dass wir versuchen, uns der Leere zu entziehen. Denn, so Zizek, "wenn es eine ethisch-politische Lektion der Psychoanalyse gibt, dann besteht sie aus der Einsicht, wie die großen Katastrophen unseres Jahrhunderts nicht das Resultat unseres Erliegens gegenüber der morbiden Attraktion der Leere sind, sondern im Gegenteil das Resultat unserer Bemühung, uns ihr nicht zu stellen und ihr die direkte Regel der Wahrheit und/oder Gutheit aufzwingen zu wollen."

Die Forderung nach der Wiederbelebung des cartesianischen Monsters bereitet so in der Tat ein "Unbehagen im Subjekt" - es ist ein wahrhaftes Knöchelchen, das einem im Halse stecken bleibt.

Titelbild

Slavoj Žižek: Das Unbehagen im Subjekt.
Passagen Verlag, Wien 1998.
208 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3851653092

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