Die andere Moderne?
Ein Sammelband zur Literatur im deutschen Faschismus
Von Kai Köhler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBereits seit den sechziger Jahren streiten Historiker über die Frage, ob die Politik des Dritten Reichs, entgegen der dezidiert antimodernen Rhetorik vieler seiner führenden Vertreter, nicht doch Elemente einer ungewollten Modernisierung enthielt. An Schärfe gewann diese Auseinandersetzung, als weit auf der Rechten anzusiedelnde Forscher wie Rainer Zitelmann die These zuspitzten und Hitler als Revolutionär inszenierten. Seitdem ist die historische Diskussion erheblich kompliziert, da Untersuchungen der Sache und Abwehr geschichtsrevisionistischer Bestrebungen sich überlagern.
Für die Literaturwissenschaft stellte sich die Sache zunächst derart einfach dar, dass sich eine Beschäftigung mit ihr zu erübrigen schien. Die Masse der Literaturproduktionen zwischen 1933 und 1945 hatte nichts mit dem als klassische Moderne etablierten Kanon zu tun, der zudem zumindest im deutschen Faschismus bekämpft wurde. Die Distanz schien unüberbrückbar, und als einziges Thema blieb hier, die zeitweilige Nähe einiger Moderner wie Gottfried Benn zum Dritten Reich zu erklären und meist auch sie zu relativieren.
Seit einigen Jahren jedoch hat sich die Forschungssituation verschoben, auch weil lange Zeit als trivial vernachlässigte Literatur ins Blickfeld geriet. Auf diese Weise wurde der Modernebegriff von seiner strikt ästhetischen Definition abgelöst; nun war es möglich, stoffliche Verbindungen zur verstädterten und technisierten Welt wahrzunehmen. Damit wurden Begriffsbildungen wie die eines "reactionary modernism" (Jeffrey Herf) oder einer "autochthonen Modernität" (Sebastian Graeb-Könneker) literaturgeschichtlich produktiv.
Der vorliegende Band, der aus einer Tagung an der Humboldt-Universität Berlin im November 1997 hervorging und als erstes Beiheft der "Zeitschrift für Germanistik" erschien, versammelt Beiträge, die sich mit der Literaturproduktion im Dritten Reich befassen. Der zum Glück irreführende Titel "Banalität mit Stil" scheint einerseits noch an der früheren Literaturwissenschaft orientiert, die rein ästhetisch abwertete. Dem Banalen aber doch Stil, welchen auch immer, zuzubilligen, verrät andererseits eine vorsichtige Ablösung von dieser Tradition. Die Autoren und Autorinnen allerdings scheren sich um solche Wertungen kaum mehr, sondern sind zumeist um präzise Beschreibungen von Texten und gerade der Widersprüche in Texten bemüht.
Mehrere Aufsätze haben den Aspekt von Modernität oder eben auch Nicht-Modernität zum Thema. Christian Härtel untersucht in seinem Beitrag über Zukunftsromane die Fragestellung auf mehreren Ebenen: auf der von Texten, deren Autoren vielfach ein konservatives Gesellschaftsmodell mit technischer Innovation zusammenzudenken versuchen, aber auch auf der Ebene von Literaturmarkt und Literaturlenkung. Hier bleibt das vertraute Schema von Rosenberg, der mit seinen Institutionen reine Ideologie durchzusetzen versuchte, und dem pragmatischer orientierten Propagandaapparat Goebbels' erhalten - Goebbels vermochte sich mit seiner Politik der partiellen Anpassung an die Bedürfnisse des Lesepublikums zu Beginn des Krieges durchzusetzen, als die stabilisierende Funktion leichter und unterhaltender Literatur kaum mehr bestritten werden konnte. Irritierender ist der Beitrag Ralf Klausnitzers über die Versuche des zivilisationsfeindlichen Kreises um Ludwig Klages von 1933 an, eine geistige Führungsrolle zu okkupieren. Dieses Unternehmen war völlig aussichtslos, schon weil Rosenberg jeden konkurrierenden Versuch, einen nationalsozialistischen Mythos zu entwickeln, vorhersehbar bekämpfte und überdies trotz vieler Antisemitismen die rassische Grundlegung der Mythologie Klages' nicht ausreichend fand. Vor allem war auch den nach außen besonders germanisch eingestellten Fraktionen des Regimes klar, dass ohne moderne Naturwissenschaft und moderne Technik imperiale Politik nicht zu verwirklichen war. Klausnitzer arbeitet die Ambivalenzen der konkurrierenden Machtgruppen und ihrer Konzeptionen klar heraus und demonstriert am Einzelfall die Besonderheit einer Moderne ohne emanzipatorische Bestandteile.
Problematischer ist der Ansatz Sabine Kupriers', Wassermetaphern in Werken der ästhetischen Moderne bei Joyce, Woolf und Wolfe mit jenen in Romanen Hermann Stahls, Oscar Walter Ciseks und Lothar-Günther Buchheims zu vergleichen. Kaum überraschend kommt sie zu einer strikten Abgrenzung. Bewusstseinsstrom und Auflösung hier, der endlos strömende Fluss als Garant stabilen Seins dort - die Entgegensetzung ist nicht nur deshalb zu einfach, weil in anderen Werken der Rechten, wie Klaus Theweleit gezeigt hat, die Flut durchaus für Auflösung der Ordnung steht. Sie ist auch problematisch, weil hier Kupriers immer noch mit einem eingeschränkten Modernebegriff arbeitet und abweichende Erscheinungen umstandslos als nichtmodern klassifiziert.
Das Problem verweist auf ein Desiderat: Das Moderne der Literatur zwischen 1933 und 1945 kann stofflich gezeigt werden oder, besonders bei der Trivialliteratur, anhand der Bedingungen von Literaturproduktion und -distribution. Vielleicht aber muss auch in ästhetischer Hinsicht gefragt werden, ob im Zusammenhang mit dem deutschen Faschismus eine eigenständige Moderne entstanden ist - und sei es unfreiwillig, wenn das beabsichtigte konventionelle Werk nicht mehr gelang und Brüche aufweist. Damit werden die Produkte des Dritten Reichs nicht aufgewertet, sondern als Erkenntnismittel genutzt, die widersprüchliche Modernisierung nach 1933 genauer zu verstehen.
In der Mehrzahl der Beiträge sind Autoren vorgestellt, die konformistisch auf die Anforderungen des Regimes eingingen, deren Texte zum Teil auch Indizien für eine vorsichtig formulierte Distanz beinhalten, die jedenfalls nicht als Propagandisten agierten.
Es spricht für den Band, dass die thematische Klammer ohnehin nur locker ist. Wo das Thema es nicht nahelegt, scheren sich die Beiträger weder um Stilhöhe noch um Probleme der Modernität. Zu nennen sind insbesondere Horst Denklers materialreiche Studie zur facettenreichen Instrumentalisierung des antiken Griechenland für gänzlich unterschiedliche politische Absichten und ästhetische Konzepte im fraglichen Zeitraum, Christian Kleins Aufsatz zu Publikationsmöglichkeiten homoerotischer Literatur unter dem Nationalsozialismus sowie Lydia Marhoffs umfassender Überblick zur Frauenliteratur in der Endphase der Weimarer Republik, in den Jahren nach 1933 und zur Kriegszeit. Bei allen Ambivalenzen im Einzelnen arbeitet Marhoff heraus, dass emanzipatorische Ansätze in der Mehrzahl der untersuchten Texte kaum mehr erscheinen und die zunehmend biologistischen Rollenzuschreibungen auch nach 1939, als weibliche Berufsarbeit kriegsbedingt verstärkt genutzt wurde, nicht mehr zurücktraten.
Auf diese Weise ergibt sich insgesamt ein vielfältiges Bild der Literatur im deutschen Faschismus. Lücken sind unvermeidlich; die hier schwerwiegendste ist, dass die Literatur junger, regimetreuer Autoren kaum berücksichtigt ist, was sowohl im Hinblick auf ästhetische Verfahrensweisen als auch bezogen auf die Frage nach Modernität zu bedauern ist. Die Herausgeber versprechen in ihrem Vorwort allerdings weitere Forschungen, die unser Bild von der Literatur zwischen 1933 und 1945 sicherlich komplettieren werden.
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