Die zerredete Revolte

Heipe Weiss stückelt die Studentenunruhen zum Roman zusammen

Von Felix MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heipe Weiss hat eine Auftragsarbeit geschrieben. "In einer launigen Mainacht im Jahre 93", plaudert der Klappentext, saß der Autor bei Freunden in der Küche, und nach "Wein und Lasagne" kam man zu dem Schluss, "dass es doch vergnüglich wäre, die vielen kleineren und größeren Frankfurter Geschichten festzuhalten". Frankfurter Geschichten: Damit war die wilde Sponti-Zeit gemeint, das Studium und das Leben in der Mainmetropole in den Jahren 1968 ff., Sit-Ins, Demos, marxistische Theorie, freie Liebe, Kommunarden. Und weil man das alles noch nirgendwo so richtig gelesen hatte, gewährte der Freundeskreis dem freien Publizisten Weiss ein Jahresstipendium. So entstand der Roman "Fuchstanz", benannt nach einem Ausflugsziel im Hochtaunus, an dem sich Frankfurter Studenten zum Fußballspiel trafen.

Trotz des Jubiläumsjahres 1998 liegen noch nicht allzu viele Romane und Erzählungen über diese bewegte Zeit um '68 vor. Selbst an historischen Darstellungen herrscht noch ein empfindlicher Mangel, der nur langsam beseitigt wird. Insoweit darf man "Fuchstanz" hoffnungsfroh empfangen. Man freut sich auf vergnügliche und bewegende Geschichten vor einem Hintergrund, der farbiger und kontrastreicher kaum sein könnte: die Notstandsgesetze und der Schahbesuch, der Tod Benno Ohnesorgs, die Ostermärsche und Josef Bachmanns Attentat auf Rudi Dutschke, das intellektuelle Panorama der "Frankfurter Schule", die theoretischen Kapriolen des SDS, die rastlose Aktivität kommunistischer Splittergruppen, schließlich die Ausfaserung in Untergrundkampf und Baader-Meinhof-Aktivismus. Doch sind die Geschichten, die Weiss vorlegt, weder bewegend noch vergnüglich. Sie vermögen aus dem reichhaltigen historischen Fundus kein Kapital zu schlagen und sind vor allem auf zermürbende Art langweilig. Das hat Gründe, im Wesentlichen zwei.

Der erste Grund hat mit der narrativen Form des Buches zu tun. Weiss hat sich für eine zerstückelte Chronologie entschieden, um mehrere Geschichten aus verschiedenen Zeiten parallel erzählen zu können. In einzelnen Passagen, die selten den Umfang von zwei Seiten übersteigen, erzählt er nicht nur die Geschichte eines Studenten zur Zeit der Unruhen, sondern auch von (Jahre später erfolgenden) Toskana-Urlauben und von der (noch einmal lange Zeit später liegenden) unmittelbaren Gegenwart des Verfassers. Nun ist gegen dieses erzählerische Prinzip nichts einzuwenden, allenfalls dann, wenn es offenkundig funktionsuntüchtig ist. Das aber ist bei Weiss leider der Fall: Viele Erzählstränge plätschern unlustig dahin, um bald trist im Sande zu verlaufen, andere haben keine erkennbare Bedeutung für die Handlung. Diejenigen dagegen, die für das Geschehen von Wichtigkeit sind, kranken vor allem an der zweiten Ursache für das Scheitern des Romans.

Diese liegt in einer enervierenden und fast unverschämten Geschwätzigkeit. Ein gutes Drittel des Gesamtumfangs verwendet die Erzählergestalt darauf, in grausamer Ausführlichkeit aus ihrem Alltag zu berichten. In schaler Koketterie werden dabei die Gründe dafür referiert, weshalb das eigentliche Romanprojekt immer wieder aufgeschoben werden muss: "Was zum Beispiel", heißt es schon auf Seite 10, "macht jemand, der von seinen Freunden soeben ein Jahresstipendium zum Schreiben eines Buches bekommen hat, zuerst? Selbstverständlich die Bügelwäsche wegbügeln." Das allein wäre ja noch amüsant, würde man nicht in trister Wiederholung immer wieder mit denselben Nebenbeschäftigungen des Erzählers behelligt werden. Aber leider passiert genau das: Wir begleiten ihn zu dem Lesekreis, den er moderiert, wir folgen ihm dabei, wie er seine Tochter zur Schule bringt, wie er die erste Seite seines Manuskriptes sucht und beginnen wieder von vorn. Immer wieder möchte man dem Erzähler wünschen, aus diesem Kreislauf freizukommen, aber er scheint sich darin wohl zu fühlen.

Der Vorwurf des Ausuferns gilt ohne Einschränkungen auch für die Geschichte des Frankfurter Studenten, die Weiss im Parallelgang erzählt. In epischer Breite beginnt sie mit den Fußballspielen am Fuchstanz, um dann schließlich zum studentischen Alltag zwischen Liebschaften, Adorno, Wohngemeinschaften und sozialistischer Zellenarbeit überzugehen. Hier ist das Potential des geschichtlichen Hintergrundes zumindest spürbar, es treten zuweilen sogar Figuren auf, für die heute prominente Politiker erkennbar Pate gestanden haben. Aber wo das historische Kolorit mit kräftigen Strichen hätte aufgetragen werden müssen, lässt es Weiss oft mit Andeutungen bewenden. Daran vermögen auch die langbärtigen Kalauer, für die der Erzähler eine bedauerliche Vorliebe hegt, nichts zu ändern.

Titelbild

Heipe Weiss: Fuchstanz. Roman.
Axel Dielmann Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
348 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 393397402X

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