Freunde in Öl

Der Bestandskatalog zum Freundschaftstempel im Gleimhaus

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das unterscheidet unsere Zeit vielleicht am meisten von der des 18. Jahrhunderts: unsere Ära prägt Bildergeilheit und gleichzeitig Bilderüberdruss, die Goethezeit dagegen Bilderseligkeit und Bilderhunger. Das hat einfache und kompliziertere Gründe. Auf der Hand liegt, dass Bilder herzustellen vor über zweihundert Jahren eine langwierige, kostspielige und in der Regel nur dem Fachmann mögliche Tätigkeit war. Daraus ergibt sich insgesamt eine geringere Anzahl an Bildern, die außerhalb von Kirchen und Schlössern in nennenswerter Anzahl nur noch in Büchern, Kalendern oder auf Flugblättern zu finden waren. Wer einen - vielleicht noch kolorierten - Druck eines Heiligen besaß oder ein Flugblatt, das Himmelserscheinungen zu deuten versuchte, vererbte es als kostbaren Besitz. Allerdings ahmte das Bürgertum immer mehr adlige Traditionen nach und ließ sich selbst und die Familie malen. Miniaturen kamen in Mode, die man in einem Medaillon bei sich tragen konnte; sie zu erwerben, bedurfte es nicht ganz so vieler Taler wie bei einem Ölbild. Die Zeit der Aufklärung brachte nun noch den Freundschaftskult aus England und Frankreich, der die tiefsinnigen und gefühlstiefen Briefe von Personen, die sich räumlich sehr fern, aber geistig sehr nah fühlten, quasi zur ersten Pflicht eines jeden Menschen im vollgültigen Sinne des Wortes machte. So leicht die empfindsamen Korrespondenzpartner Entfernungen schriftlich überwanden, so selten gelang es ihnen in persona selten, weil Reisen zu mühsam und zu teuer kam.

"Vater Gleim", wie er von seinen guten Freunden und denen, die generös von ihm unterstützt wurden, genannt wurde, empfing dennoch nicht wenige Besucher in seiner Wohnung in Halberstadt; für ihn bedeutete Freundschaft und geistiger wie emotionaler Austausch fast alles. Johann Wilhelm Ludwig Gleim stand damit nicht nur nicht allein, er repräsentierte in Reinkultur die deutsche Tradition empfindsamer Aufklärung im Zeichen des Freundschaftskults. Als Dichter findet er heutzutage eigentlich nur noch literaturhistorisches Interesse, als Schöpfer des "Freundschaftstempels" aber verdiente Aufmerksamkeit und sein Haus regen Zulauf. Gleim besaß das Talent, Freunde zu finden und zu binden, fast noch wichtiger aber, er drängte sie mit nie ermüdender Geduld, ihm ein Porträt zuzuschicken. Nun erstaunt der Brauch an sich nicht, doch Gleim begnügte sich nicht mit Miniaturen. Er wollte veritable Gemälde, möglichst ähnliche dazu. Die Freunde sollten - wenigstens im Bilde - um ihn sein. Wer da um ihn schwebte, war die Creme de la creme der Aufklärung, so dass eine unvollständige Aufzählung gerechtfertigt ist: Bertuch, Blanckenburg, Bodmer, Bürger, Chodowiecki, Gellert, Gessner, Heinse, Herder, Hirzel, Jacobi, Jean Paul, Karsch, Kleist, Klopstock, La Roche, Lavater, Lessing, Matthisson, Mendelssohn, Möser, Moritz, Nicolai, Ramler, Seume, Sulzer, Uz, Voss, Weisse, Wieland, Winckelmann. Wie erfolgreich der Halberstädter Domkapitelssekretär, der Dichter, der Sammler seine Freunde, Verehrer und Bekannten unter sanften Druck setzte, konnte man bislang nur in Halberstadt selbst sehen. Dort retteten in einem tollkühnen Akt einige Begeisterte das Gleimhaus - schon in DDR-Zeiten nicht gerade generös ausgestattet, aber arbeitsfähig - vor der Auflösung und erreichten mit der Gründung eines Vereins und unermüdlichen Eingaben bei den staatlichen Stellen, dass Gleims Sammlung erhalten und restauriert werden konnte.

Seit einiger Zeit gibt nun auch ein wunderbarer Bestandskatalog Gelegenheit, den Freundschaftstempel zu betreten. Der Band lässt sich - fast unnötig zu sagen - natürlich literaturwissenschaftlich und vor allem kunsthistorisch auswerten. Wolfgang Adam beschreibt in einem Essay mit wünschenswerter Klarheit, Differenzierung und Ausführlichkeit die Phänomene "Freundschaft und Geselligkeit im 18. Jahrhundert", der Katalog bildet nicht nur alle noch vorhandenen sowie die abhanden gekommenen Porträts ab, sondern bestimmt dazu in extenso die jeweilige Provenienz und erwähnt sogar noch wichtige biografische Daten. Ein Malerverzeichnis und ein Personenregister verbessern die Handhabbarkeit sogar noch. Vielleicht sollte man sich allerdings diesem so reichen Buch anders nähern, einfach den Menschen ins Gesicht blicken, zu ergründen suchen, was hinter der malerischen Manier in den Augen zu finden ist. Am besten schaut man mit Freundesblicken diese Freunde an, die ihrem Freunde zuliebe sich malen ließen, um ihm nah zu sein, und ihm damit erleichterten, ihnen nahe zu sein.

Titelbild

Horst Scholke / Wolfgang Adam: Der Freundschaftstempel im Gleimhaus zu Halberstadt. Porträts des 18. Jahrhunderts. Bestandskatalog.
E. A. Seemann Verlag, Berlin 2000.
224 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3363007450

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