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Über Julian Barnes' neuen Roman "Liebe usw."

Von Martin KuesterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Kuester

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seinem neuen Roman "Liebe usw." greift Julian Barnes nach etwa zehn Jahren noch einmal zurück auf das Personal des früheren Romans "Darüber reden". Es handelt sich hier um eine Dreiecksgeschichte: Die Kunstrestauratorin Gillian hat sich damals von ihrem Mann Stuart getrennt und seinen besten Freund Oliver geheiratet. Stuart ging daraufhin nach Amerika, heiratete und machte Karriere. Nachdem Gillians Beziehung zum intellektuellen, aber beruflich nicht sehr erfolgreichen Oliver über die Jahre einige Patina angesetzt hat, taucht Stuart als frisch geschiedener und erfolgsverwöhnter Geschäftsmann im Trendbereich Bionahrungsmittel wieder auf und drängt sich als "der gute Stu" zurück in das Leben seiner Exfrau und deren Familie.

Der Roman ist formal dadurch interessant, dass er aus Monologen besteht, in denen die einzelnen Charaktere Zuhörern bzw. den Lesern des Romans ihre Sicht der Dinge, also natürlich nur ihre jeweilig sehr subjektiv gefärbte Version des Verhältnisses von Gillian und ihren zwei Männern darstellen. Der Leser hat nun die zum Teil faszinierende und unterhaltsame, auf Dauer aber nicht unbedingt nur fesselnde Aufgabe, detektivisch aus diesen subjektiven Versionen der einzelnen Protagonisten und Protagonistinnen die Wahrheit bzw. eine ihn zufrieden stellende Version derselben herauszufiltern. Es wird klar, dass die meisten Strategien ganz andere als die ursprünglich geplanten Konsequenzen nach sich ziehen.

Bei der Suche nach der "Wahrheit" ist es hilfreich, dass nicht nur Stuart, Oliver und Gillian zu Wort kommen, sondern auch ihre Kinder, Eltern, Schwiegereltern und Kollegen. Trotzdem wirkt das Buch im Rückblick eher wie ein literarisches Experiment mit unterschiedlichen Erzählperspektiven und mit interessanten intertextuellen Bezügen zu literarischen Vorbildern, die vom Rolandslied bis zu Oscar Wilde reichen. Man kann über ein solches Buch vortrefflich narrative Studien anfertigen, und man kann daraus herrliche Passagen und Wortspiele zitieren, aber als Roman vermag es nicht ganz zu überzeugen. Die Schlusssätze, gesprochen von einer Vertreterin der älteren Generation, wirken symptomatisch:

"Mich dürfen Sie nichts fragen. Etwas geschieht. Oder nichts. Und dann, einer nach dem anderen, über lange Zeit, werden wir alle sterben. Sie sterben vielleicht zuerst, natürlich. Ich selbst werde also warten. Darauf, dass etwas geschieht. Oder dass nichts geschieht."

Titelbild

Julian Barnes: Liebe usw. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Gertraude Krueger.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002.
253 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3462030760

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