Umbrüche

Tony Parsons hält in seinem zweiten Roman "One for my baby" die alten Werte hoch

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alfie Budd ist Mitte dreißig und eine verlorene Seele. Nach dem Tod seiner Frau Rose, die während der Flitterwochen bei einem Tauchunfall verunglückte, ist er aus Hongkong in seine Heimatstadt London zurückgekehrt und driftet durch das Leben in der englischen Hauptstadt. Mit Rose hatte er den Rest seines Lebens verbringen wollen, nachdem er lange nach der richtigen Frau für ihn gesucht hatte. Alfie sieht sich diesem Verlust rettungslos ausgeliefert und kann seiner Trauer nur mit Hilflosigkeit begegnen. Auf der Suche nach ein wenig Geborgenheit zieht er wieder bei seinen Eltern ein, nur um alsbald festzustellen, dass sein Vater, der vor kurzem vom Sportreporter zum gefeierten Schriftsteller avancierte, eine Affäre hat. Die Familie, die ihm Sicherheit geben sollte, ist in der Auflösung begriffen: seine Mutter wirft den Vater aus dem Haus, als sie ihn inflagranti mit seiner Freundin erwischt, Alfies geliebte Großmutter stirbt jeden Tag ein bisschen mehr an Lungenkrebs. Alfie versucht zusammenzuhalten, was nicht mehr zusammengehalten werden kann und stürzt sich schließlich in eine Reihe von Affären, immer von neuem auf der Suche nach seinem Platz in diesem Leben.

Tony Parsons zweiter Roman "One for my Baby" macht sich das Leben, die Liebe, den Verlust und die Veränderung des Lebens mit zunehmendem Alter zum Thema, bar jeden Zynismus. Alfie lebt in einer Welt mit festen Werten, deren unerwarteten Zerfall er verdutzt beobachtet, ohne eingreifen zu können, und die er für sich schließlich neu zu etablieren versucht. Er sehnt sich nach der Welt, die sein Vater in seinem Erfolgsroman über seine Kindheit im Londoner East End beschreibt, nach einer Nachbarschaft, in der die Leute zwar arm, aber glücklich waren, weil sie einander hatten, und wagt den Vergleich zwischen der damaligen Gesellschaft und dem Leben, das seine Freunde und er führen: Die individualisierte, egoistische Gesellschaft hat bisher keinen auf Dauer glücklich gemacht. Man muss Parsons' Ansicht nicht unbedingt teilen, um Alfies Erkenntnis angesichts seines auseinanderbröckelnden Lebens und seine Suche nach einem neuen Lebenssinn nachvollziehen zu können.

Während Alfie sich in sein idealisiertes Leben in Hongkong zurückträumt, werden ihm nicht nur die Veränderungen in seinem eigenen Leben bewusst, sondern auch in England und für ihn gehen diese Veränderungen Hand in Hand: "All das ist neu. Aber das ist noch nicht alles. Terry Wogan spielt REM auf Radio 2, Prinzessin Diana wird kaum noch erwähnt - und vielleicht das Schockierendste: Mein Vater geht seit neuestem ins Fitneß-Studio. Das alles kommt mir unerhört vor. Ich hatte gedacht, Wogan würde nur kommerzielle Sachen spielen - aber vielleicht war aus REM ja Kommerz geworden, während ich mal nicht aufpaßte. Ich hätte geglaubt, Diana würde nach ihrem Tod so sichtbar bleiben, wie sie es zu Lebzeiten war. Und ich hatte gedacht, mein Vater würde nie im Leben auch nur einen Gedanken an die Schwimmreifen um seine Hüften verschwenden."

Die Affäre des Vaters bedeutet für Alfie nicht nur das Ende der Ehe seiner Eltern, sondern auch den Verlust des Vorbilds, das sein Vater ihm stets war. Ersatz findet Alfie schließlich in dem alten Chinesen George Chang, der ihn in die Geheimnisse des Tai chi einführt und ein Stück Hongkong in sein Leben zurückbringt. Nach und nach gelingt es Alfie, sein Leben mit neuen Aufgaben und Freunden zu füllen. Er wird Englischlehrer an einer Sprachschule und begegnet Jackie Day, die jeden Morgen die Schule putzt und ihn überredet, ihr Nachhilfe in englischer Literatur zu geben, damit sie das Abitur nachholen und ihrer Tochter ein besseres Leben bieten kann.

"One for my Baby" ist ein stellenweise sentimentales Buch, aber nie weinerlich. Parsons setzt einer verlorengegangenen Welt ein Denkmal, ohne einer "Früher war alles besser"-Klage zu verfallen: Alfie Budd blickt in die Vergangenheit, um die Zukunft neu zu justieren, nachdem alles, was er in seinem Leben als gegeben gesehen hat, wegbricht. Parsons unterlässt es dabei dankenswerterweise, Lösungen anzubieten, sondern schickt Alfie auf die Suche - eine Suche, bei der er sich selbst Stück für Stück wieder näher kommt und begreift, dass das Leben ein ständiger Umbruch ist.

Titelbild

Tony Parsons: One for my baby. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Christiane Buchner und Carina von Enzenberg.
Kabel Verlag, München 2002.
361 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3822505811

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