Auf die Gefahr hin, humorlos zu erscheinen

Marlene Streeruwitz schreibt "Tagebuch der Gegenwart."

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Marlene Streeruwitz, umstrittene Dramatikerin und zunehmend geschätzte Romanautorin, ist in ihrer Heimat Österreich auch eine engagierte Kommentatorin der Tagespolitik. Ihre Stellungnahmen zu Haider, der FPÖ und dem neuem Nationalismus sind in "Profil", "Standard" und "Volksstimme" präsent, und man mag Österreich um eine so scharf beobachtende und zuhörende und so vehement streitende Schriftstellerin beneiden.

In der hiesigen Presse finden sich Artikel von Streeruwitz, meist Buchbesprechungen oder Essays, eher selten. Umso größer sind Freude und Lesevergnügen, wenn man unversehens ihren ernsten, zuweilen erbitterten, immer aber eigenen Ton vernimmt. Mitten im sich neuerdings spaßig gerierenden F. A. Z.-Feuilleton, wo ethische Fragen weitgehend in den Kampagnen-Journalismus der Gentechnik- und Preußen-Debatte abgedrängt sind, der Streeruwitz-Sound dazu auffordert, "den Zusammenhang zwischen fahrlässigem Sprachgebrauch und daraus folgendem politischen Handeln [zu] entschlüsseln".

Die in den Jahren 2000 und 2001 verstreut in österreichischen und deutschen Zeitungen erschienenen Artikel liegen jetzt gesammelt als "Tagebuch der Gegenwart" vor. Datiert sind die Einträge auf die Zeit vom 13. 2. 2000 bis zum 30. 1. 2001, wobei unklar bleibt, ob die Daten den Tag der Entstehung, der Ersterscheinung oder des Ereignisses angeben, auf das sich die überwiegend tagespolitischen Äußerungen beziehen. Die konkreten Anlässe - Kampagnen der FPÖ, Auftritte Haiders oder Aussprüche der Vizekanzlerin (FPÖ) - dürften dem (deutschen) Leser inzwischen kaum mehr präsent sein, nur mit Mühe kann er sie aus den Texten erschließen. Das bleibt - ebenso wie das Fehlen konkreter Quellennachweise - ärgerlich, auch wenn die nur diffuse Präsenz des Politischen im Privaten des Tagebuchs zum poetischen Programm der Autorin gehören sollte. Die Anlässe der Erbitterung jedenfalls gleichen einander, oft liefert ein einzelner Ausspruch (etwa die Aufforderung der österreichischen Außenministerin gegenüber Maturanten "Eines müßt Ihr über alles stellen: Die Liebe zu Österreich.") die Grundlage für mehrere kritisch-dekonstruierende Artikel. So kommt es zwangsläufig zu Redundanzen, thematischen Überschneidungen und einer ganzen Menge Seitenfüllern: Grußadressen zum Christopher-Street-Day, Interviews, in denen die Fragen fehlen, andere, bei denen die wenig originellen Anschreiben und die E-Mail-Adresse des Absenders gleich mitabgedruckt sind - eher Stoff für den Notizkalender als fürs Tagebuch.

Doch nicht nur der wohl auch dem Lektorat anzulastende Mangel an Sorgfalt bei der Zusammenstellung des Bandes verstimmt, auch inhaltlich enttäuscht vieles, was als Beitrag zum Tag sicherlich seinen Dienst getan hat.

Die gelinde ausgedrückt romantische Verklärung der "Freundlichkeit" zur Chiffre einer Widerstands-Romantik, die in der Demonstration am 19. Februar 2000 und den folgenden Donnerstagsdemonstrationen das Land Österreich einte (ähnlich wie in Frankreich Le Pens scheinbar plötzlicher Erfolg), und der Versuch im "Gehen" eine "neue Poetik des Politischen" zu verwirklichen, rühren mehr, als sie überzeugen.

Und auch die Klage über das Ausgrenzen und Verschweigen von Frauen in Politik, Sport und Journalismus, ein Kernthema bei Streeruwitz, ist natürlich nicht neu; aber dass eine Frau nicht Scharfblick und Energie verliert, gegen "das verwüstete Sprachklima" anzuschreiben, selbst "auf die Gefahr hin, humorlos zu erscheinen", darin liegt schon Tapferkeit. Zuweilen indes ist die Mischung aus Ideologiekritik und Sprachphilosophie schon arg handgestrickt: Der Präsidentschaftswahlkampf in Amerika, bemerkt Streeruwitz, die zeitweise in den USA lebt, konzentriere sich sehr auf die Wirkung der Kandidaten auf Wählerinnen, auf das "to play up women". Dessen wienerische Entsprechung, das "Einirunz'n bei die Weiber", liefert den Anlass zum kontrastiven Vergleich der Perspektive auf Frauen in den unterschiedlichen Sprachkulturen: "Während in Wien Herablassung den invasiven Ton angibt, bleibt die zu manipulierende Person in den USA wenigstens erhoben. [...] Und es wirkt freundlicher. Auch wenn das Wienerische dem Sachverhallt näher kommt. Wahrscheinlich."

Treffender als der Generalangriff wirkt da doch der Seitenhieb, etwa im Zusammenhang der unseligen Erotik-Debatte, an der das "Literarische Quartett" sich endgültig zerstritt. Im späten Schulterschluss mit Sigrid Löffler konstatiert Streeruwitz lakonisch, Reich-Ranicki "glaubt die Erotik, die da behauptet werden kann. Unter Auslassung aller hinderlichen Realitäten." In der Tat: Er glaubt sie. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Neben solch treffenden Randbemerkungen gibt es natürlich auch ganze Beiträge von hoher formalästhetischer Qualität. Streeruwitz Poetik des Unvollständigen Satzes, die sich gegen die grammatische Ordnung als eine Wahrnehmungshierarchie wendet, wird von diesen Texten immer auch vorgeführt, so irritierend, dass der Akt der Lektüre davon nicht unbeeinflusst bleibt, so kunstvoll, dass die Lust am Text nicht leidet.

Kurz: Der Respekt für Streeruwitz und eine nicht geringe Dankbarkeit für ihr Oeuvre haben Bestand - daran ändert auch das "Tagebuch der Gegenwart." nichts. In ihm scheint die Autorin allerdings der von ihr gerühmten "Schönheit des schnellen Schreibens" zum Opfer gefallen.

Titelbild

Marlene Streeruwitz: Tagebuch der Gegenwart.
Böhlau Verlag, Köln 2002.
182 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3205994639

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