Mein wunderbarer Frisiersalon

Wolf Wondratscheks Schelmenstück "Mozarts Friseur" verwirrt

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein eigenartiges Stück Literatur liegt mit Wolf Wondratscheks Erzählung "Mozarts Friseur" vor: Da gibt es einen sehr gebildeten, allzu gerne gedanklich abschweifenden und in Anekdoten vernarrten Erzähler, außerdem einen Friseur, der so etwas wie der Protagonist der Geschichte ist - allerdings erfährt man über ihn nicht viel mehr als die Travestie eines alttestamentarischen Kindheitsschicksals: "Der Friseur, so die Legende, ist eine Mischung aus einem arabischen Findelkind und einem (gewordenen) Wiener, aufgefunden von Nomaden und von ihnen am Leben gehalten, gesäugt von Kamelen, nachts warm gehalten von ihrem Dung, bemuttert von Palmenschatten, in die man ihn während der Ruhepausen bettete. Die Hölle war es trotzdem".

Abenteuerliche Wirrungen jedenfalls verschlagen den Friseur nach Österreich, sein Arbeitsplatz ist das Zentrum des steten Kommens und Gehens ehrwürdiger Wiener Bürger und armseliger Wiener Würstchen. Beim Friseur aber sind sie alle gleich. Der Raum erinnert mit seinem zusammengewürfelten Interieur - Klavier, Kamel, Uhrensammlung, eine Menge Sand und Mozarts Original-Perücke lassen sich dort entdecken - mehr an einen Theaterfundus und fungiert als Auge des Orkans, der durch die Erzählung stürmt und dabei Bedeutendes und Nebensächliches, Namen und Schauplätze durcheinander wirbelt, auf dass der Leser staune und ihm schwindele.

Der ehrwürdige Mozart etwa verweilt nur kurz in der Person eines übermüden Alten im Friseursalon, der wohlgemerkt in der Jetzt-Zeit angesiedelt ist: "Ein Genie darf sich selbst zweihundert Jahre nach seinem Tod alles erlauben". Die Perücke des Komponisten hingegen bleibt etwas länger vor Ort und findet die leidenschaftliche Aufmerksamkeit einer Textilrestauratorin. Des weiteren treten auf: ein Friseurlehrling, Karotte mit Namen, eine alte Fregatte, ein notorisch schlecht gelaunter Künstler, eine Gruppe Japaner, ein Drogendealer, der Pichler Joe, eine Talkshow-Moderatorin und einige mehr.

Es sind Miniatur-Geschichtchen, oft genug sketchartige, die in "Mozarts Friseur" übergangslos zu einem etwas verwirrenden Ganzen verstrickt sind. Amüsant sind überdrehte Einfälle wie die Karikatur einer durch Intimrasur traumatisierten Talkshow-Moderatorin. Die ironisch-schrullige Sprache findet sich wiederholt verdichtet zu frechen Sinnsprüchen oder irrealen Bildern. Doch läuft der Leser Gefahr, im ruhelosen Geflatter zwischen Personen und Schauplätzen schlicht die Orientierung zu verlieren: Alles geschieht am Rande, Orts- und Zeitenwechsel verlaufen allzu abrupt, der Erzählstrang einer fortschreitenden Handlung existiert fragmentarisch. Der schmale Band erweist sich als hartnäckig, die Spurensuche nach einem roten Faden ermüdet.

Das meiste Vergnügen bereitet es vielleicht, die Erzählung ohne Rücksicht auf die Chronologie der Seitenzahlen nach dem Zufallsprinzip zu durchforsten: Man blättere von hinten nach vorn und beginne an einer zufällig gewählten Textstelle zu lesen - solange, bis man den Überblick verliert. Nach einer kleinen Pause ist die Prozedur dann nach Belieben fortzusetzen - das ergibt den erwünschten Kaleidoskopeffekt ohne Orientierungszwang.

Titelbild

Wolf Wondratschek: Mozarts Friseur. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2002.
148 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3446201602

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