Ein Autor liebesmissioniert sich gnadenlos um die Welt

Robert Schneiders neuer Roman "Schatten"

Von Kim CyrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kim Cyr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass ein Autor mit der kühnen Behauptung "Wer liebt, schläft nicht" von sich Reden machte, und schon damals konnte man ahnen, dass Robert Schneider den festen Entschluss gefasst hatte, auch nach seinem Bestseller "Schlafes Bruder" dem großen Mysterium "Liebe" weiterhin ganz dicht auf den Versen zu bleiben. Doch was mit den Romanen "Die Luftgängerin" und "Die Unberührten" folgte, glich nur mehr einer Art Potpourri von Tagebuchaufzeichnungen zum Thema, sein Philosophieren über die "Liebe" erhielt eine zunehmend befremdlich theologische Note. Das jüngst vorgelegte Werk "Schatten", seine bereits zweite Veröffentlichung in diesem Jahr, ist nun zu einem regelrechten und reinen selbstverliebten Kompendium Schneiderschen Liebes-Glaubens teils äußerst fragwürdiger Ansichten geraten, in dem an die Stelle des nun offensichtlich endgültig aufgegebenen Gottesglaubens, des biblischen "vom Evangelium zeugen", das "Zeugnis ablegen von der Liebe" tritt. Auch dieser, durch die minimierte Handlung vielmehr nur noch der Beschriftung des Covers nach als Roman zu bezeichnenden Neuerscheinung fehlt wieder der längst noch einmal so wünschenswert gewordene frische Wind des Erstlings. Stattdessen viel Gesäusel und Zähes über unerfüllt erfüllt Liebende, für die man schon in den bereits erwähnten beiden Vorgängern der "Rheintalischen Trilogie" einen immer längeren Atem benötigt hatte - und schließlich die Vermutung hegen musste, dass sich der Autor unbeirrbar in ein trauriges Zerkauen seiner "Schlafes Bruder"-Fährte festfuhr. Das hat uns Schneider nun ein verbissenes drittes Mal bestätigt.

Collin Lamont, der seit etlichen Jahren Tote und doch heimliche Hauptfigur des neuen Romans, sei, so heißt es, "nie in der Lage gewesen, seine Gefühle auszudrücken". "Mit Kasha war er verheiratet; doch nur Florence hat ihn geliebt". Letztere nun bittet die Freundin Jahrzehnte nach deren Heirat um eine Aussprache. Sie will ihr eine einzige, d i e Frage stellen. Ein Unternehmen, das sich zu einer abendfüllenden Debatte über die "Schatten" der Seele und des Herzens ausweitet - 207 Seiten ein einziges Tischgespräch und viel Raum für Schneider, sich allzu oft in ausufernde Theorien zu versteigen, die sich alle mehr oder weniger um die durchaus wiederum hochinteressante These drehen, dass die "Liebe" in erster Linie eine "Heimkehr zu sich selber" sei. Da aber fangen auch schon die Probleme an, wenn ein Autor seinen Leser nicht nur leidenschaftlich davon zu überzeugen versucht, dass "am Ende das Heimkommen noch das schwerste Opfer, nämlich, den geliebtesten Menschen (wieder) freizugeben verlangt", um endlich "die Freiheit in sich selber zu erlangen", sondern ein solcher Art egoistisch geprägtes Liebes-Verständnis kurzerhand auch noch bis zur Paradies-Tauglichkeit hin geheiligt wird: "Ich weiß, dass Gott dann lächeln wird, und er wird mir die Pforte öffnen". Spätestens wenn der Autor sich ernsthaft bemüht zeigt, den unleugbar dominant egozentrischen Einschlag seiner Liebes-Philosophie als sein Gegenteil zu beweisen, droht einem der schon länger mitgeschleppte Widerwille gänzlich über die neuerlich bemühte Logik zu siegen. Nur tröstlich da, dass Schneider selbst bereits die große Gefahr voraussieht, "dass du mich den ganzen Abend lang nicht verstehen wirst" und vorsorglich ein wunderbar transparentes und dann doch wieder viel zu selbstverliebtes Lesezeichen zwecks Orientierungshilfe beigegeben hat. Leider umsonst, denn an der endlich gestellten Frage, liest man dann prompt, vor lauter Erschöpfung vorbei. Auch die sicherlich gut gemeinte Sydney-Luft, mit der New York-Luft war es einst nicht anders, hilft einem da nicht auf die Beine.

Was haben wir nach Australien zu erwarten? Schneiders Liebes- und Lebensbekenntnis-Mission ist weltumspannend. Was fehlt also noch? Mutmaßlich voller Kurs voraus auf Afrika oder Südamerika und dem Leser die fast schon heimelige Gewissheit ins Gepäck gesteckt, wo auch immer auf der Welt wieder peinlich berührt zu sein von soviel Herz-Wort. Aber auch ein weiteres Mal ernsthaft be- und verwundernd betroffen, dass ein Autor, der nicht müde wird ein "zu sich stehen bis zur Ohnmacht" zu fordern, sich selbst nicht zu schade ist für den konkreten Feld-Versuch, bis "keine Worte, kein Lächeln, keine Tränen, keine Geige, kein Namen" mehr ist. Wo hat es das schon sonst in der Literatur gegeben?!? Da kann man sich auch mit einem "weltumspannenden Verriss" nicht wirklich aus der Affäre ziehen, da droht einem das Peinlich-Berührtsein am Ende noch in ein unangenehmes Sich-angesprochen-fühlen zu geraten, bei soviel Ernst an der Sache.

Titelbild

Robert Schneider: Schatten. Roman.
Reclam Verlag, Leipzig 2002.
210 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3379007927

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch