Ein Mensch, wie vom Mond auf die Erde gefallen

Christian Dietrich Grabbes Briefe als Hörbuch

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Grabbe war ein Mann der Extreme, in seiner Literatur und in seinem Leben. Seine Briefe entwerfen ihn als großen Erneuerer des deutschen Theaters, dem er alles austreiben wollte, was ihm als flach und mittelmäßig erschien, ein Großtyrann der Bühne. In einem seiner Stücke beschimpft er sich selbst: "Er ist so dumm wie'n Kuhfuß, schimpft auf alle Schriftsteller und taugt selbst nicht; hat verrenkte Beine, schielende Augen und ein fades Affengesicht." Trotz dieser Selbsteinschätzung, die seinem tatsächlichen Äußeren nicht ganz unrecht tat, betrachtete er sich dennoch als großen Schauspieler. Seine Umwelt sah ihn vor allem als Säufer, der in seiner ungeliebten Eigenschaft als Militärgerichtsbeamter in Detmold einmal in Unterhosen, Frack und Pantoffeln zwei Offiziere vereidigte, und dem die eigene Frau das Haus verwies.

Es ist die Aufgabe der Nachwelt, zwischen diesen Extremen nach dem tatsächlichen Ort des außergewöhnlichen Dichters zu suchen. Der 200. Geburtstag hat sicherlich einiges dazu beigetragen, Grabbe aus dem Abseits der Literaturseminare wieder auf die Bühne zu bringen. Dies geschieht zwar mit merklicher Verzögerung, doch gab es im Jahr 2002 immerhin Aufführungen von "Napoleon" und von "Hannibal", und für das nächste Frühjahr sind gleich drei Inszenierungen von "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" durch bekannte Theater in Vorbereitung, ein Stück, das sich zuletzt vor allem bei Schulspielgruppen einiger Beliebtheit erfreute. Neben mehreren Publikationen über den sehr eigenen Dichter, einer Biographie und einem Lesebuch gehört auch ein Hörbuch mit einer Auswahl seiner Briefe zu den erfreulichen Konsequenzen dieser kleinen Renaissance.

Wer nun glaubt, Dichterkorrespondenzen seien etwas für ergrauende Philologen, die sich in muffigen Bibliotheksräumen über staubige Schwarten beugen, den kann diese CD leicht eines Besseren belehren. Gebannt lauscht man den von Walter Sittler überzeugend gelesenen Briefen, die kaum einen gemäßigten Ton kennen und stets vor großen Emotionen zu vibrieren scheinen. Doch sollte man sich auch nicht vom Untertitel beirren lassen, der da lautet: "Grabbe - eine Tragödie in Briefen". Grabbes Leben ist so wenig mit einer Tragödie identisch wie seine unbändigen Theaterstücke. Wohl gibt es darin Tragisches, auch manches Komische, letztendlich aber wird die Form der grotesken Farce bestimmend. Die Geschichte vom Auszug des Dichters in die große Welt und der zweimaligen Rückkehr in das enge und verhasste Detmold ist kaum erhaben, und der Grabbe, der verzweifelt versucht, ins eheliche Haus eingelassen zu werden, gleicht einer Figur aus dem Volkstheater. Seine Selbstüberschätzung könnte ihn tragisch machen, wenn sie nicht derart übersteigert wäre und nicht so leicht in Angriffe auf andere umschlagen würde. So erscheint er eher als ein absurder Antiheld, hin- und hergerissen zwischen demiurgischer Allmachtsphantasie und existenzialistischer Verzweiflung.

Es ist ganz erstaunlich, wie viel sich dem Zuhörer über den Menschen und Autor Grabbe in dieser überaus konzentrierten Auswahl offenbart, die gerade mal ein sechzigstel der bekannten Briefe darstellt. Hier macht der Ton die Musik, angefangen vom allerersten Brief des Schülers, der seine Eltern wortgewaltig um die Anschaffung eines teuren Buchs ersucht, bis hin zu den späten verzweifelten und ungeduldigen Bittbriefen und den hasserfüllten Invektiven. Dazwischen liegen Jahrzehnte begründeter - und oft auch unbegründeter - Hoffnung des Dichters, der seinen notwendigen und gerechtfertigten Ruhm stets zum Greifen nah vor sich sah, nur um die Eltern oder später seinen Verleger Kettenbeil im nächsten Satz um ein wenig Geld anzugehen. Die Zwischentexte von Walter Gödden schließen die Lücken zwischen den einzelnen Briefen und ordnen sie in den Kontext der Biographie ein. Damit ist dieses Hörbuch wohl einer der besten Wege, sich Grabbe zu nähern und Interesse für sein Werk zu gewinnen. Für diejenigen, die schon mit ihm vertraut sind, wird er durch das Hörerlebnis gegenwärtig und lebendig.

Titelbild

Walter Gödden: Man könnte ihn einen betrunkenen Shakespeare nennen. Grabbe - eine Tragödie in Briefen CD.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2002.
65`11, 15,40 EUR.
ISBN-10: 3934872255

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