Wo Goethe war und wo er nicht war

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seinem Buch "Wege zum Ruhm" empfiehlt Robert Gernhardt, sich als Schriftsteller nicht in Orten und Städten niederzulassen, die auf der poetischen Landkarte bereits kartiert sind. Ganz unpassend sei es beispielsweise, in Weimar zu wohnen. Gleichwohl gibt es sie und gab es sie, die Autoren, die den Goethe-Schatten nicht fürchteten und sich ausgerechnet hier eine Bleibe suchten. Und heute wohnt noch der Dichter Wulf Kirsten in der Goethe-Stadt - das zeugt wahrlich von ungetrübtem Selbstbewußtsein.

"Weimar, Stadt der Dichter, Denker und Mäzene" nennt Jochen Klaus seine Studie, doch bis in die Gegenwart dringt er nicht vor. Seine reich mit "Originaltönen" gefütterte Monographie reicht von Weimars Anfängen bis zu Goethes Tod. Eine Nachbemerkung erwähnt auf einer knappen Seite einige der Goethe-"Epigonen", sie ist jedoch ohne jegliche Substanz.

Gegenüber Dieter Borchmeyers Studie "Weimarer Klassik. Portrait einer Epoche" bietet Jochen Klaus wenig Neues. Nun hat Borchmeyer auch einen weiter gesteckten Anspruch - Weimar als Wohnort Goethes und geistiger Mittelpunkt des literarischen Deutschland ist nur ein Teilaspekt seiner Gesamtdarstellung von 1994, die jetzt in einer aktualisierten Neuausgabe vorliegt. Verdienstvoll ist diese Studie schon aufgrund ihrer gut sortierten und auf den neuesten Stand gebrachten Bibliographien, die zu jedem Kapitel erarbeitet worden sind und diesem Werk den Status eines Handbuchs geben. Natürlich werden auch Weimar als "klassische Provinz" und Goethe als Staatsmann und Sozialreformer eingehend gewürdigt.

"Treffpunkt Weimar. Literatur und Leben zur Zeit Goethes" nennen Norbert Oellers und Robert Steegers ihr solide gearbeitetes Gemeinschaftswerk. Auch sie beginnen mit der "Vor- und Frühzeit der Musenstadt" und enden mit Goethes Tod. Die bedeutenden stadtgeschichtlichen Entwicklungen zu Goethes Amtszeit werden ebenso sachkundig dargestellt wie die persönlich-freundschaftlichen oder geschäftlichen Verbindungen des Dichterfürsten, etwa zu seinem Verleger Cotta, der sich freilich in Weimar so gut wie nie blicken ließ.

"Der Weimarer Musenhof", Zentrum für Literatur, Musik und Tanz, Gartenkunst, Geselligkeit und Malerei wird in dem Gemeinschaftswerk von Gabriele Busch-Salmen, Walter Salmen und Christoph Michel dargestellt. Dieser Band ist reich illustriert und hat den Vorteil, daß er Musik- und Literaturwissenschaftler zusammenführt, um das Faszinosum der Stadt darzustellen. Auch sie lassen reichlich O-Töne sprechen, doch ihre Auswahl ist erfreulich speziell und originell, so daß sich dieser Band von der Fülle der Goetheiana positiv abhebt. Der Gesichtskreis ist weit gezogen: Was man in Weimar las, wurde auch von den Autoren dieses Bandes gelesen, zum Beispiel das berühmte "Journal des Luxus und der Moden". Abbildungen der neuesten Pariser Mode ließen die Herzen der Weimarer Frauen höher schlagen - und sind auch heute noch sehenswert. Überhaupt vermittelt dieser Band mehr als nur eine Ahnung von der Eleganz der Weimarer Hochkultur.

Goethe war auch anderswo, zum Beispiel "in Göttingen und zur Kur in Pyrmont". Das Thema von Georg Schwedts Studie war lange Zeit ein Desiderat der Goetheforschung. Hier erfährt der geneigte Leser von den Auswirkungen der "Expedition" auf Geist und Leib des Dichterfürsten. Goethe, der 1801 insgesamt fünf Wochen in Pyrmont kurte, war von der Stadt gelangweilt. Balsam für den Körper, Ödnis für den Geist. Nur Göttingen, die Stadt am Südrand des Harzes, die er auf der Durchreise "reichlich einen Monat" besuchte, konnte ihm geistige Nahrung bieten. In der berühmten Göttinger Universitäts-Bibliothek arbeitete er an seiner "Farbenlehre", in Lichtenbergs Sternwarte ließ er sich die Instrumente zeigen. Die grundsolide Arbeit von Georg Schwedt kartiert auch die Umgebung von Göttingen und Pyrmont bezüglich Goethe, zum Beispiel die Burgruine Plesse.

Bei all diesen Goethe-Stätten stellt sich die Frage, wo Goethe eigentlich nicht gewesen ist. Jörg Aufenager hat sich diese naheliegende Frage auch gestellt und sie auf 214 Seiten knapp und bündig beantwortet. In seinem Buch "Hier war Goethe nicht. Biographische Einzelheiten zu Goethes Abwesenheit" ist freilich auch wieder viel von Weimar die Rede. Wie das? Nun, wenn Goethe Weimar verließ, um nicht nach Paris, London, Wien oder Petersburg zu reisen (dort war er nämlich nicht), dann mußte er auch wieder nach Weimar zurückkehren. So einfach ist das. Aber was mag ihn bewogen haben, Peine, Pattensen und Paris zu meiden? Die Revolution? Die französische Krankheit? Die Nouvelle Cuisine? Aufenager gelingt es, die Gesetzmäßigkeiten in Goethes Reiseverhalten, seinem "Vor und Zurück", seinem "Hin und Her", auszumachen und festzuschreiben.

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Gabriele Busch-Salmen / Walter Salmen / Christoph Michel: Der Weimarer Musenhof. Literatur, Musik und Tanz, Gartenkunst, Geselligkeit, Malerei.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 1998.
220 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3476016145

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Dieter Borchmeyer: Weimarer Klassik. Portrait einer Epoche.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 1998.
612 Seiten,
ISBN-10: 3895471127

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Georg Schwedt: Goethe in Göttingen und zur Kur in Pyrmont.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999.
166 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3525362390

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Jörg Aufenanger: Hier war Goethe nicht. Biographische Einzelheiten zu Goethes Abwesenheit. Zum 250. Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe.
Kowalke und Co. Verlag, Berlin 1999.
212 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3932191102

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Norbert Oellers / Robert Steegers: Treffpunkt Weimar.
Reclam Verlag, Stuttgart 1999.
300 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3150104491

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Jochen Klauß: Weimar. Stadt der Dichter, Denker und Mäzene.
Patmos Verlag, Düsseldorf 1999.
340 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3538070806

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