Frauen als Netzwerkerinnen
Sadie Plant über die weibliche Seite des Internets
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn seiner Vernunftkritik steckte Kant die Grenzen dessen ab, was er "das Land des reinen Verstandes" nannte. Dieses Land war eine einsame Insel, auf der es sich "Robinson" Kant heimelig machte. Denn draußen, lehrte Kant mit erhobenem Zeigefinger seinem andächtig lauschenden Diener Lampe, sind nur der stürmische Ozean, trügerische Nebelbänke, Untiefen und Wahnsinn.
Und die Frauen, so darf aus heutiger Sicht hinzugefügt werden. Die sogar vor allem. Denn solch verbissenes Grenzenziehen und Sich-Abschließen gegen das "Andere der Vernunft", hinter dem die Post-Freudianer und Feministinnen das versammelte und verdrängte Sexuell-Weiblich-Unbewußte aufspüren, gilt als symptomatisch für eine um ihre Macht und ihren Verstand fürchtende männliche Ratio. Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles geändert. Zum Glück, muß man sagen. Zum Glück für die Frauen und die Männer. Freilich wird heute gerne das andere Extrem propagiert. Was etwa die englische Computerexpertin Sadie Plant mit ihrem sprühenden Manifest "Nullen und Einsen" an Thesen für eine neue globale Internet-Kultur vorlegt, dürfte Wasser auf die Mühlen aller Kritiker der Postmoderne sein.
Frauen, lehrt uns Plant, sind prädestiniert fürs Verbindende, Verwebende. Ob nun aus genetischen oder kulturellen Gründen, wird nicht so ganz klar. Wichtiger ist, daß diese Eigenschaft, seit Jahrhunderten fleißig am Webstuhl eingeübt, den Frauen heute im Zeichen des Internet den entscheidenden, gewissermaßen evolutionären Vorsprung vor der männlichen Konkurrenz beschert, die fürs Trennende, Sich-Abschließende steht. Internet und Postmoderne, das heißt anonyme Netzwerke, Texte als wuchernde Gewebe ohne Zentren und Autor, assoziatives gedankliches Herumhüpfen statt verkrampfter stringenter Argumentation, verbindende Linien statt Positionen und Kontrapunkten. Neu ist das natürlich alles nicht, sondern wird seit Jahrzehnten von Derrida und Co. verkündet. Neu ist bei Plant die Verwurzelung postmodernen Denkens in der vorindustriellen Handarbeit: Es "war bereits Multimedia: wenn Spinnerinnen, Weberinnen und Näherinnen bei ihrer Arbeit sangen, summten, Geschichten erzählten, tanzten und Spiele spielten, so waren sie auch tatsächlich Netzwerkerinnen."
Und der Mann? Der ist keineswegs Sinn und Zweck des Universums, wie er einfältig seit Adams Zeiten geglaubt hat, sondern im Gegenteil nur eine genetisch manipulierte Marionette des Weiblichen. Ihr einziger Zweck: das Weibliche zu befruchten, um die eigene Erhaltung zu garantieren. Kants Ozean des Scheins, so Plant, nimmt heute endlich Rache und überschwemmt die Insel; nur wer sich anpaßt und zu surfen lernt, wird überleben. Dabei bastelt Plant nach Art von Hypertexten, die ja schon auf dem Computer unlesbar sind, verschiedene, für sich durchaus interessante historische Begebenheiten und Belege aus Kultur- und Literaturgeschichte zusammen, in der Darstellung freilich nervtötend hin- und herspringend, dabei das neue, nicht-linear vernetzende Denken demonstrierend.
Abgewinnen läßt sich dem kuriosen Glaubensbekenntnis Plants erst etwas, wenn man es parallel liest zu einem anderen, das 1903 in Wien erschien und zu dem "Nullen und Einsen" gewissermaßen das komplementäre Gegenstück darstellt: Otto Weiningers misogynes "Geschlecht und Charakter". Plants idealisiertes Stereotyp vom weiblichen Weben findet sich auch bei ihm, denn Weininger bestimmte das "Wesen des Weibes" als "Kuppelei". Es ist dasselbe dualistische Weltbild, das hier wie dort propagiert wird, allein die Vorzeichen haben gewechselt.