Spieglein, Spieglein

Jens Sparschuhs Roman über den Schweizer Physiognomen Lavater

Von Cordula Natusch bei KrombassRSS-Newsfeed neuer Artikel von Cordula Natusch bei Krombass

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Läßt sich über Lavater, den schrulligen Theologen und Schriftsteller aus der Schweiz, Jugendfreund Goethes und Begründer der Physiognomie, ein spannendes Buch schreiben? Eines, das nicht nur viele Seiten umfaßt, sondern auch noch verfilmt werden kann, also einen interessanten Plot hat? Der Ich-Erzähler in Jens Sparschuhs neuem Roman "Lavaters Maske" ist überzeugt: Es ist möglich, obwohl die Idee aus der Not geboren wurde, eine angemessene Antwort auf die Frage: "Woran arbeiten Sie eigentlich gerade?" zu finden. Erst recht, nachdem er bei seinen Recherchen auf den ungeklärten angeblichen Selbstmord von Lavaters Sekretär, Gottwald Enßlin, gestoßen ist. Die bekannten Fakten sind eher spärlich, aber das stört ihn nicht sonderlich: "Die Wirklichkeit kann man nur erfinden", sagt sich der Erzähler und macht sich daran, den rätselhaften Tod des junges Mannes nach 200 Jahren neu zu beschreiben. Nach anfänglichen Archivarbeiten in Lavaters Wohnort Zürich zieht er sich in ein verschlafenes Nest zurück und läßt seiner Phantasie freien Lauf.

Schon früh allerdings stößt der Protagonist des Romans auf Schwierigkeiten. Es scheint, als wollten sich Enßlin und Lavater nicht in seine Geschichten und Erklärungen der Vorkommnisse fügen, jede seiner Ideen scheitert an Details und neuen Dokumenten, von der historischen Wahrheit ganz zu schweigen. Mehr noch: Bald ist er nicht mehr Herr über seinen Text, vielmehr übernimmt die Fiktion selbst die Regie. Je absurder die Situationen sind, in die der Ich-Erzähler seine Figuren Lavater und Enßlin schickt, desto mehr rächen sich die beiden dadurch, daß sie seine eigene reale Welt immer grotesker erscheinen lassen. So gerät die Suche nach einem Stück Papier zum Spionagethriller, die Festrede auf einen Professor mißlingt zu einem Nekrolog und eine harmlose Zugfahrt gestaltet sich als Horrortrip mit Gnomen und mörderischen Rasenmähern.

Am interessantesten aber sind jene Szenen, die sich mit dem Hauptwerk Lavaters, der Physiognomik auseinandersetzen. Lavaters fanatische Suche nach dem Zusammenhang von äußerer Erscheinung und innerem Wesen eines Menschen, der genaue, letztlich aber alle Unterschiede doch nivellierende Blick auf das Gegenüber, überträgt sich schon bald auf den Protagonisten des Romans. Nicht nur die Beobachtung der anderen Menschen, auch der Blick in den Spiegel wird ihm zum Abenteuer und birgt ungeahnte Risiken. Überhaupt lohnt es sich, den vielen Spiegeln und reflektierenden Flächen, den gewollten und ungewollten Begegnungen mit dem eigenen Gesicht nachzugehen: "unverhoffter Blickwechsel mit mir selbst, überraschtes Wiedererkennen, blauäugiger Kurzschluß!"

Auch wenn der Schriftsteller im Roman an der eingangs gestellten Aufgabe, ein spannendes Buch über den Schweizer Physiognomen zu schreiben, scheitert, Jens Sparschuh gelingt dieses Kunststück allemal. "Lavaters Maske" gelingt es, das Spiel mit den Personen und ihren Identitäten leicht und gelöst durchzuspielen. Das liegt an den zahlreichen Anekdoten aus einem Schriftstellerleben, die Sparschuh einstreut, vor allem aber an seinem besonderen Wortwitz. Die Beschreibung von Wirtschaftsverhandlungen im arabischen Raum werden zu "unerklärlichen Treibjagden durch die Verhandlungssäle", eine Folge des kulturell unterschiedlichen "Gesichtsnormalabstand beim Sprechen" - während gleichzeitig der chinesische Kellner im Restaurant ein undurchdringliches Lächeln aufsetzt. An manchen Stellen, aber glücklicherweise sehr selten, gerät das Sprachspiel in die Nähe des Kalauers.

"Lavaters Maske" ist ein ausgesprochen geistreiches Buch, das auch eine zweite und dritte Lektüre belohnt. Nur Spiegel, die sollte man in der Zeit, in der man dieses Buch liest, besser meiden.

Titelbild

Jens Sparschuh: Lavaters Maske.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
250 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 346202843X

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