Distanz als Prinzip

Elke Schmitters "Leichte Verfehlungen"

Von Ingrid IcklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingrid Ickler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach ihrem hochgelobten Erstling "Frau Satorius" legt Elke Schmitter mit "Leichte Verfehlungen" nun ihren zweiten Roman vor. Sie schildert darin die Geschichte einer Gruppe von Freundinnen, alle um die vierzig, Akademikerinnen und Bestandteil der Berliner Bildungsbohème. Im Zentrum steht Selma Craiss, freischaffende Journalistin, die sich in Abwesenheit ihres Mannes, der in den USA eine Gastprofessur innehat, wieder ihrem Ex-Freund annähert, sich in ihn verliebt, dieses Gefühl aber schließlich wieder ad acta legen muss. Daneben setzt sie sich mit dem Leben und Leiden ihrer Freundin Bettina auseinander, die ständig zwischen ihrer Rolle als Mutter und ihrem Wunsch nach beruflicher Selbstverwirklichung hin und her gerissen ist und frustriert den sexuellen Eskapaden ihres Mannes zusieht. Dritte im Bunde ist Angelika, auch sie eine Intellektuelle, die sich nach einer langen Beziehung zu einer Frau auf einen One-Night-Stand einlässt, prompt schwanger wird, ihr Leben daraufhin völlig umkrempelt, ihr Kind am Ende des Romans aber verliert.

Mit diesen Vorgaben hätte Elke Schmitter ein lebendiges Porträt dreier Frauen zeichnen können, doch leider lässt sie ihre Figuren nicht leben, sondern denken. Sie diskutieren gelehrt über Derrida und "Clavigo", Affären, Männer und Kunst, bleiben dabei aber immer distanziert und emotionslos. Ob der Verlust des Fötus auf der Krankenhaustoilette oder die sich selbst befriedigende Selma Craiss - alles bleibt an der Oberfläche. "Die Vogelperspektive ist nur eine Weise, sich die Dinge vom Leibe zu halten, oder von der Seele", lässt die Autorin eine der Frauen sagen und genau so erzählt sie auch: distanziert, bemüht ironisch, ohne jede Sympathie oder gar Liebe für ihre Figuren. Das macht den Roman hölzern und -mit Verlaub - langweilig. Was trotzdem zum Weiterlesen reizt, sind die kleinen Porträts, die Elke Schmitter immer wieder in die Handlung einstreut. Es sind hervorragend beobachtete und wunderbar beschriebene Figuren des Alltags: die Kioskbesitzerin, ein Kellner, eine vollbesetzte Straßenbahn - sie zeigen das große Erzähltalent der Autorin, hier lebt der Roman.

Bleibt zu hoffen, dass sich Elke Schmitter in ihrem nächsten Werk auf diese Stärken besinnt und "Leichte Verfehlungen" eine leichte Verfehlung bleibt.

Titelbild

Elke Schmitter: Leichte Verfehlungen. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2002.
310 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3827004551

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