Was wir mit Mozart, Freud, Woolf und Gandhi gemeinsam haben

Howard Gardner über "Kreative Intelligenz"

Von Alexandra HildebrandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Hildebrandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kognitionspsychologe Howard Gardner darf für sich in Anspruch nehmen, daß sich ganze Schulen seinen Ideen verschrieben haben. 1983 veröffentlichte der an der Harvard-Universität in Boston lehrende Professor sein Modell der "multiplen Intelligenzen", das noch immer weite Anerkennung genießt. Gardner spricht hier von acht Intelligenzen, die von mathematischen Fähigkeiten, extrem ausgebildet etwa bei Einstein, über das musikalische Genie Mozarts bis zur Gabe Darwins reichen, Abläufe in der Natur zu erkennen.

In seinem neuen Buch, das besonders von Mihaly Csikszentmihalys "Systemsicht" von kreativer Intelligenz beeinflußt ist, präsentiert der Psychologe vier Biographien außergewöhnlich kreativer Menschen. Zum größten Teil handelt es sich bei diesen Untersuchungen um gewöhnliche Fallstudien, die sich auf bereits veröffentlichte Quellen berufen: Wolfgang Amadeus Mozart verkörpert den "Meister", der die musikalische Kombinationskunst seiner Zeit vollkommen beherrschte. Sigmund Freud steht für den hochkreativen "Neuerer", der mit der Psychoanalyse überhaupt erst ein Wissensgebiet geschaffen hat. Virginia Woolf entwickelte in ihren Büchern die Selbstbeobachtung oder Introspektion zur Perfektion. Mahatma Gandhi gilt nach Gardner als der prototypische "Beeinflusser", der Wirkung erreicht, "indem er in seinem Leben die Geschichte verkörpert, die er erzählt".

Man fragt sich allerdings, weshalb gerade diese Menschen im Mittelpunkt seines Interesses stehen. Warum nicht Goethe, Schumann, Beethoven oder Picasso? Wären die Antworten aus anderen "Fallstudien" dieselben? (Wohl nicht.) Wenigstens räumt Gardner ein, daß seine Methode "nicht im strengen Sinne des Wortes wissenschaftlich ist". Dieses Eingeständnis ist zwar nicht unsympathisch, doch macht es das Buch auch nicht besser. Bietet es neben bekannten Fakten doch nicht mehr als ein paar unkonkrete Ratschläge für den "Hausgebrauch": "Aber, ob nun Dichter oder Klempner, man kann viel lernen, indem man seine eigene Domäne eingehend studiert und vorauszuahnen versucht, in welche Richtung sie sich entwickeln wird."

Schließlich zwingt Gardner noch die "Moral der Bürger" (von der vielleicht mehr abhängt als von ihrer "Kreativität und Neuerungskraft, Einflußmächtigkeit oder Spiritualität") in sein Erfolgsrezept der "kreativen Intelligenz" und fordert zu "humanitärer Kreativität", das heißt zum verantwortungsvollen Einsatz der Talente auf.

Nach der Lektüre hat man den Eindruck, daß Howard Gardners neues Buch, in dem sämtliche Persönlichkeitseigenschaften zu Intelligenz und Kreativität gezählt werden, nur ein Anbau seines ursprünglichen Modells der "multiplen Intelligenzen" ist, das den Verkaufserfolg dieses Werkes wiederholen soll. Enthält es doch nicht zuletzt die alte Mär, daß der Intelligenzquotient für den Erfolg im Leben eines Menschen keine Rolle spielt.

Titelbild

Howard Gardner: Kreative Intelligenz. Was wir mit Mozart, Freud, Woolf und Gandhi gemeinsam haben. Aus dem Englischen von Andreas Simon.
Campus Verlag, Frankfurt 1999.
208 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3593361809

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