"Das Theater der Autorschaft, der wirklichen und der möglichen Welten"

Zu Ethel Matala de Mazzas und Clemens Pornschlegels Sammelband "Inszenierte Welt. Theatralität als Argument literarischer Texte"

Von Elisabeth KapfererRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elisabeth Kapferer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem von Gerhard Neumann, Caroline Pross und Gerald Wildgruber 2000 herausgegebenen Band "Szenographien. Theatralität als Kategorie der Literaturwissenschaft" (Rombach) wurde der Begriff der Theatralität theoretisch erschlossen und in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Literatur- und Kulturtheoretikern in ästhetischen, sozialen sowie psychoanalytischen Fragestellungen reflektiert. Die nun vorliegende Aufsatzsammlung "Inszenierte Welt. Theatralität als Argument literarischer Texte" ist insofern als Fortsetzungsband aufzufassen, als sie an "Szenographien" mit einer Reihe von Fallstudien anschließt, die sich dem ebendort herausgearbeiteten Mimesis-Konzept im aristotelischen Sinn verpflichten. Gemeinsames Ziel der Fallstudien ist der "Nachweis einer spezifischen Theatralität der Literatur, die dann relevant wird, wenn Texte sich Rechenschaft über ihre eigene mimetische Kraft geben und auf den Status ihrer Zeichenhaftigkeit reflektieren: auf ihren Status als indirekte oder direkte, als zudiktierte oder selbstverantwortete Rede; auf ihr Eingebundensein in ein System von Relationen zwischen Personen und Gegebenheiten; auf die Bedingungen und Möglichkeiten einer durch Schrift oder simulierte Mündlichkeit zu leistenden Authentifikation." Die einzelnen Subthemen, die in den vier Abschnitten des Bandes behandelt werden, sind hier schon angerissen, ebenso wie der Kosmos einer Begrifflichkeit angedeutet ist, in dem sich die Beiträge (leider nicht immer in der konsequenten Eindeutigkeit, die erforderlich und wünschenswert wäre) bewegen.

"Inszenierte Welt" wird eröffnet von drei Untersuchungen, die sich mit den stilistischen und rhetorischen Bedingungen von Theatralität sowie mit dem Übergang "vom Anschauungsraum zum Imaginationsraum, vom gewöhnlichen zum phantasierenden Blick" beschäftigen. Michael Otts Beitrag zu Heinrich von Kleist ergeht sich zwar in "minutiösen Studien am literarischen Detail", lässt aber gleichwohl den roten Faden vermissen, der die Auswahl der verschiedenen, unterschiedlichen Gattungen zugehörigen Texte verständlich machen und dem Beitrag zu einer besser erkennbaren inneren Logik verhelfen könnte. Der erste Themenbereich wird ergänzt durch die beiden ungleich stringenteren Aufsätze von Gerhard Neumann und Ethel Matala de Mazza. Matala de Mazza verdeutlicht anhand zweier Essays das Spannungsfeld zwischen Unvermeidbarkeit und poetologischer Nutzbarkeit von Theatralität, in dem sich Hugo von Hofmannsthals Prosa bewegt. Neumann skizziert an E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Des Vetters Eckfenster" fünf Ebenen der Theatralität, die sich aus den Beobachtungen und dem Gespräch der beiden Vettern ergeben. Als eigentlicher Protagonist der Hoffmann'schen Novelle erweist sich das "Wahrnehmungsproblem"; die Sprache scheitert in ihrem mimetischen Bemühen und inszeniert dieses Scheitern gleichzeitig. - Neumann sieht in dieser "Dysfunktion das Grundparadox der Moderne im Feld literarischer Mimesis". "Des Vetters Eckfenster" wird darüber hinaus zum Beispiel für jene spezifische Art romantischen Schreibens, die sich aus der "Problemlage der inszenierten anstelle der vorgefundenen Welt" heraus eines Blicks bedient, "der das Doppelspiel von Entstellung und Wiederherstellung, von Gestaltung und Entstaltung im Akt der Wahrnehmung in Rechnung stellt und zur Erkenntnis des Wirklichen zu benutzen weiß.".

Der zweite Abschnitt thematisiert das "Verhältnis von Präsenz und Repräsentation". Was mit "Aporien der Präsenz" gemeint sein kann, wird neben Gerald Wildgrubers Untersuchung zu Diderots "Satire 2de" und Stefan Willers Ausführungen zu "Kongreß. Die Kette der Demütigungen" von Botho Strauß besonders in der Analyse von Ralph Ellisons Roman "Invisible Man" klar: Crystel Pinçonnat gelingt es, die Darstellung des 'unsichtbaren' Menschen bei Ellison auf verschiedenen Bedeutungsebenen nachvollziehbar zu machen und zu zeigen, wie - auf Empfindungen wie Lust und Schmerz beruhende - Präsenz 'unsichtbar' machen und Repräsentation ein Trugbild sein kann. Erweitert wird die Analyse des Romans durch die Gegenüberstellung mit der sophokleischen Tragödie "König Ödipus", durch die noch einmal bekräftigt wird, dass es sich beim Sehen des 'Unsichtbaren' um eine Erfahrung handelt, die vor allem schmerzhaft ist. Neben inhaltlichen Aspekten fällt an Pinçonnats Beitrag positiv auf, dass Zitate aus dem Roman bei gleichzeitigem Verweis auf die englische Originalausgabe auf deutsch zitiert werden.

"Experimente auf die Wirklichkeit" beschreiben die Beiträge des dritten Abschnitts, und sie behandeln dabei "die Konsequenzen dieser literarischen Grenzerfahrung der Präsenz für die Poetik des Realismus." Neben Alexandra Tischels aufschlussreicher Untersuchung zu den unterschiedlichen Codes zweier Lebensräume in Theodor Fontanes Roman "Unwiederbringlich" überzeugt insbesondere Martin Stingelins semiotische Analyse von Gottfried Kellers Novellenzyklus "Die Leute von Seldwyla". Die theoretischen Grundlagen, die Stingelin für seine Untersuchung von Charles Sanders Peirce übernimmt, werden knapp, aber doch einleuchtend dargestellt. Seldwyla erscheint als der von Theatralität und Zeichen durchsetzte Raum, an dem sich zeigt, dass das Verstehen von Zeichen erlernbar sein kann, dass in dieser "Entautomatisierung unserer Wahrnehmung und unseres Denkens" eine Annäherung an die Realität für Keller (und auch für Peirce) möglich schien. Dass zuletzt Nietzsche als kritisches Korrektiv für eine solche Überzeugung ins Treffen geführt wird, gibt diesem ohnehin schon beeindruckenden Beitrag noch eine interessante Wende. Der grundsätzlich stimmige Ansatz von Caroline Pross, in Arthur Schnitzlers Erzählungen "Leutnant Gustl", "Fräulein Else" und "Traumnovelle" einerseits die Zeichenhaftigkeit und Zeichenabhängigkeit der 'Wirklichkeit' auch im vermeintlichen und von den Protagonisten angestrebten Grund der Dinge nachzuweisen, andererseits das Befangensein der Figuren in ihrer theatralisch gefärbten Welt auszustellen, kann - in der Zusammenstellung dreier wohl nur partiell vergleichbarer Texte - nicht ganz überzeugen.

Den vierten und letzten Themenkomplex bilden drei Beiträge zum Thema Autorschaft; es ist dies jener Abschnitt des Bandes, der am schwierigsten zu fassen ist. Neben den eher editorischen Fragestellungen nachgehenden Untersuchungen von Simon Bunke ("'Immer Höltys Geist gefragt'. Inszenierungen von Autorschaft und Autorisation zwischen 'Göttinger Hain', Hölty und Voß") sowie Sibylle Peters ("Kafkas Schreiben lesen. Literarische Theatralität zwischen Text und Schrift") steht Clemens Pornschlegels Beitrag über Robert Walsers Prosaskizzensammlung "Fritz Kochers Aufsätze", der das Spiel des Autors mit unterschiedlichen Verfasserebenen auf nicht ganz geglückte Weise darzustellen versucht.

In diesem vierten Abschnitt wird besonders spürbar, was als ein Schwachpunkt des vorliegenden Bandes angesehen werden kann. Die Herausgeber deklarieren Theatralität als "Angelpunkt von Fragestellungen, in denen sich die Perspektiven etablierter literaturwissenschaftlicher Forschungsansätze neu bündeln lassen" und sehen die verschiedensten Bereiche der Literaturwissenschaft aufgerufen, sich an der Analyse des Themas zu beteiligen. In der Zusammenstellung der zwölf Beiträge äußert sich aber nicht nur eine große Bandbreite an unterschiedlichen Zugangsweisen, sondern auch eine begriffliche Vielfalt, die den Leser eher verwirren als bereichern dürfte. Gleichwohl finden sich in dem Band mehrere spannende Fallstudien, die darauf hoffen lassen, dass dem Thema Theatralität in der Literaturwissenschaft auch künftig Aufmerksamkeit geschenkt werden wird.

Titelbild

Ethel Matala de Mazza / Clemens Pornschlegel (Hg.): Inszenierte Welt. Theatralität als Argument literarischer Texte.
Rombach Verlag, Freiburg 2003.
328 Seiten, 50,20 EUR.
ISBN-10: 3793093492

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