Kettenbach goes Dürrenmatt

Hans Werner Kettenbachs Roman "Kleinstadtaffäre"

Von Ingrid IcklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingrid Ickler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Werner Kettenbach gehört zu den "Großen" unter den deutschen Romanciers. Der inzwischen 75-jährige Autor hat in den vergangenen 50 Jahren elf Romane vorgelegt, jetzt, im Frühjahr 2004, erscheint mit "Kleinstadtaffäre" sein neuestes Werk. Es ist wieder ein typischer Kettenbach, penibel recherchiert, mit politischem Hintergrund, unfehlbarem Lokalkolorit und einem Journalisten im Zentrum der Handlung. Es ist nicht zuletzt ein Krimi ohne Auflösung, einer Offenheit also, die mittlerweile zum Markenzeichen des Autors geworden ist.

Der Ich-Erzähler Jörg Froberg, Lokalreporter beim "Merzthaler Boten", rekonstruiert den Besuch des renommierten Schriftstellers Carl Wallot in seiner Heimatstadt. Wallot kommt zu einer Lesung vor einem Provinzpublikum, dem er sich weit überlegen fühlt. Doch schon bald gerät er in Verwicklungen, wird selbst ein Teil einer Provinzposse um illegale Waffengeschäfte, Kleinstadtklüngel, den Verführungsversuchen einer attraktiven Frau und einem rätselhaften Todesfall. Spätestens als er selbst zum Hauptverdächtigen avanciert, wird er ganz klein; der große Schriftsteller verwandelt sich in einen ängstlichen, feigen Menschen, der sogar zum Denunziant wird.

Für Froberg stürzt damit ein Denkmal, aber er gewinnt Klarheit über sich selbst. Am Ende weiß er, dass er der Provinz verhaftet bleiben wird, selbst wenn er dort keine Karriere machen kann und möglicherweise sogar die Frau verliert, die er liebt.

Der Todesfall stellt sich letztendlich als Selbstmord heraus, doch - typisch Kettenbach - die näheren Umstände bleiben ungeklärt.

"Kleinstadtaffäre" ist mit seinem stolzen Umfang von mehr als 450 Seiten ein packendes Buch, sprachlich routiniert erzählt, mit spannend aufgebauter Krimihandlung, die den Leser über weite Strecken mitreißt. Das offene Ende allerdings mag manchen enttäuschen.

Merzthal ist nicht Güllen, und doch erinnert die Atmosphäre in dieser Kleinstadt merkwürdig an den Schauplatz aus "Der Besuch der alten Dame". Auch hier herrschen Klüngel und Bigotterie, wird zwischen Protektion und Seilschaften, zwischen Gerechtigkeit und moralischem Gewissen abgewogen. Und wie Dürrenmatt ist Kettenbach Moralist, aber eben auch ein glänzender Unterhalter: eine seltene Kombination.

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Hans Werner Kettenbach: Kleinstadtaffäre. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2004.
505 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3257861044

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