Ein Buch wie ein Film

Max Aubs Roman "Am Ende der Flucht" als Buch und Hörbuch

Von Melanie PappertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Pappert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es ist merkwürdig, ausgerechnet jetzt, seit ich niemand bin, beginne ich mich als jemand zu fühlen". "Ich habe blind gelebt. Nein, blind nicht. Aber mit einer großen Mauer vor den Augen". "Erst jetzt habe ich erfahren, was die Freiheit ist, und das habe ich dort gelernt, wo es keine gibt". Was ein noch junger Mensch alles durchmachen und hilflos über sich ergehen lassen muss, um zu solchen Aussagen zu gelangen, schildert Max Aub auf bewegende Art und Weise in seinem Roman "Am Ende der Flucht". Doch nicht nur das: der fünfte Band seines Romanzykluses "Das magische Labyrinth" ruft uns einmal mehr die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung.

Jules Hoffman, ein junger selbstständiger Geschäftsmann, gerät durch eine Verwechslung der Pariser Polizei im Jahr 1939 unschuldig in Haft. Man hält ihn für seinen in Spanien kämpfenden Bruder Jean, dessen Existenz sich zunächst jedoch nicht nachweisen lässt. So kommt es, dass Jules zusammen mit unzähligen anderen "verdächtigen" Emigranten, Flüchtlingen, heimatlosen und denunzierten Männern in ein Sportstadion gebracht wird. Während er dort der Willkür und den Schikanen der Wächter ausgesetzt ist, kämpft seine Frau Marie verzweifelt für seine Freilassung. Doch auch als Jean auftaucht und sich freiwillig der Polizei stellt, lässt man ihren Mann nicht auf freien Fuß.

Als die Deutschen schließlich in Frankreich einmarschieren, kommen Jules und seine Leidensgefährten nach Vernet ins Konzentrationslager, wo sie unter noch unmenschlicheren Bedingungen die Grausamkeiten der Offiziere und Feldwebel über sich ergehen lassen müssen.

Max Aub schafft es auf beeindruckende Weise, nicht nur ein Einzelschicksal zu beschreiben, sondern anhand der Geschichte anderer Inhaftierter auch noch einen Überblick über die Kriegssituation Europas Anfang der 40er Jahre zu geben und den Irrwitz der französischen Politik darzustellen.

Wer sollte das auch besser können als jemand, der Ähnliches selbst durchlebt hat? Aub wurde in Frankreich geboren, zog während des Ersten Weltkrieges nach Valencia und nahm im Alter von 21 Jahren die spanische Staatsbürgerschaft an. Schon in diesen jungen Jahren begann seine schriftstellerische Tätigkeit und es erwachte sein großes Interesse am Theater. Im Jahr 1938/1939 war er an den Dreharbeiten zu dem Bürgerkriegsfilm "L'Espoir" beteiligt, welcher in Frankreich fertiggestellt wurde, da das gesamte Filmteam aus Spanien fliehen musste. Im Sommer 1940 wurde Max Aub in Paris als Kommunist denunziert, und man brachte ihn, genau wie Jules, in das Sportstadion Roland Garros und danach ins südfranzösische Konzentrationslager von Vernet. Aus einem Lager in Algerien gelang ihm schließlich die Flucht, und über Umwege glückte die Ausreise ins mexikanische Exil.

Während der dreiwöchigen Überfahrt von Casablanca nach Veracruz im September 1942 entstand das Theaterstück "Morir por cerrar los ojos" ("Sterben, weil man die Augen verschließt"), die Vorlage zu "Am Ende der Flucht".

Aubs Faszination für das Theater und das Kino schlägt sich auch in der Erzähltechnik des vorliegenden Romans nieder. Die Form von "Am Ende der Flucht" ähnelt sehr stark der Form eines Drehbuchs. Neben den erzählenden, beschreibenden Abschnitten, die schon fast als szenische Anweisungen durchgehen könnten, überwiegen hier die Dialoge. Dadurch wirkt das Schicksal von Jules noch lebendiger, authentischer, und bewegt den Leser in einer Art und Weise, wie es einem nur erzählenden Roman wohl kaum gelingen könnte. Man liest das (Dreh-) Buch, und vor dem inneren Auge des Lesers läuft gleichzeitig der Film ab. Aub selbst bezeichnet "Am Ende der Flucht" als eine Art Zwitter zwischen Roman und Kino. Durch geschickt eingeschobene Meldungen und Zeitungsschlagzeilen informiert der Autor im Verlaufe der Handlung immer wieder über die aktuelle Kriegssituation in Europa. Historisches Vorwissen, um nicht den Überblick zu verlieren, ist für die Lektüre dennoch ganz hilfreich.

"Am Ende der Flucht" ist ein erschütternder Roman, der uns die unmenschlichen Verhältnisse, die in den Konzentrationslagern des Zweiten Weltkrieges vorherrschten, direkt und äußerst lebendig vor Augen führt. Man erlebt zusammen mit der Hauptfigur die Willkür der Obrigkeit, den Sadismus der Wachmannschaften, den Hunger, die Traurigkeit, die Spitzelei und die Lügen. Und da diese Grausamkeiten so real und schockierend sind, ist dieses Buch so beeindruckend und mitreißend. "Am Ende der Flucht" ist alles andere als leichtverdauliche Kost, aber dennoch oder gerade deshalb absolut lesenswert.

Titelbild

Max Aub: Am Ende der Flucht. Das magische Labyrinth. 1 CD.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
74 min., 17,95 EUR.
ISBN-10: 3821851333

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Max Aub: Am Ende der Flucht.
Übersetzt aus dem Spanischen von Alfred Buschmann und Stefanie Gerhold.
Piper Verlag, München 2004.
252 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3492227929

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