Querschnitte durch die Seele der Nation

Drei Dokumentationen der Debatte über das Holocaust-Mahnmal in Berlin

Von Roland KroemerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roland Kroemer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch ist nicht viel zu sehen. Eine flache Mulde, in der sich Regenwasser sammelt. Vereinzelte Sträucher. Manchmal ein paar Krähen, die in den lehmigen Boden hacken. Auf dem Bretterzaun, der das Baugelände umgibt, sind die Hinweise "Zettel ankleben verboten!" kaum noch zu entziffern: nach und nach wurden sie von den Zeitungsartikeln, Fotos, Plakaten, kopierten Buchseiten verdeckt, mit denen die Berliner die zehnjährige Debatte um das geplante Holocaust-Mahnmal fortsetzen. "Aus der Verantwortung STELEN", hat jemand in großen Buchstaben auf das Holz gesprayt. Ein paar Schritte weiter heißt es: "wiedergutgemacht, wiedergutgelobt, wiedergutgemahnt".

Die einzelnen Stationen der Debatte - beginnend mit der Initiative des Förderkreises um Lea Rosh Ende der 80-er Jahre, über die erste und zweite Ausschreibung des Wettbewerbs bis hin zum vorläufigen Schlußstrich, der Entscheidung des Bundestages im Juni dieses Jahres - lassen sich in drei kürzlich erschienenen Dokumentationen verfolgen. Die Bücher unterscheiden sich insbesondere in Umfang und Preisklasse. Eine erste Orientierung im Dschungel der gegensätzlichen Meinungen ermöglicht die - preisgünstigste - Dokumentation von Michael S. Cullen, der aus den gesammelten Zeitungsartikeln (es sind weit über tausend) 32 repräsentative ausgewählt hat. Auch wenn eine derart geraffte Zusammenstellung subjektiv bleiben muß, vermitteln die Beiträge (dazu ein Vorwort von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und die Ausschreibungstexte der Wettbewerbe) doch eine Ahnung von der Vielschichtigkeit der Kontroverse. Es ging eben nicht nur um ein Mahnmal, sondern um so grundsätzliche Themen wie die Historisierbarkeit des Holocaust, das Selbstverständnis dieser Gesellschaft am Ende des Jahrhunderts und, nicht zuletzt, die Möglichkeiten und Grenzen der Kunst.

Angesichts der Relevanz dieser Fragen kann man fast froh sein, daß die Debatte zehn lange Jahre gedauert hat. Wie problematisch und ästhetisch fragwürdig voreilige Entscheidungen ausfallen können, zeigt die Kollwitz-Skulptur, die Helmut Kohl 1993 in der Neuen Wache, der Zentralen Gedenkstätte, aufstellen ließ. Michael Jeismann erkennt einen so engen Zusammenhang zwischen diesem autoritären Kanzlerwort und der Mahnmal-Debatte, daß er in seine Dokumentation auch drei Beiträge zur Neuen Wache aufnimmt. Obwohl der Band umfangreicher als Cullens Buch ist, zeigt sich der FAZ-Redakteur Jeismann in der Textauswahl einseitiger: von den sechzig Artikeln stammen über die Hälfte aus der eigenen Zeitung. Dennoch ist die Sammlung aufgrund der größeren Stoffmenge - und auch wegen der leserfreundlichen Kapitelunterteilung - jedem zu empfehlen, der sich eingehender mit dem Verlauf der Debatte beschäftigen will.

Die Dokumentation aber, welche die anderen in den Schatten stellt und in keiner Staats- und Universitätsbibliothek fehlen darf, stammt vom Berliner Philo Verlag. Sollten sich Historiker in hundert Jahren mit der Mahnmal-Debatte auseinandersetzen, sie werden auf dieses Buch zurückgreifen. Schon in seinen bloßen Ausmaßen - großformatig, in schwarzem Einband, 1300 Seiten dick, über drei Kilo schwer - zeigt es sich seinem Gegenstand würdig. Fast könnte es eine erste Stele von Eisenmans Labyrinth sein. Hält man diesen "Querschnitt durch die Seele der Nation" (Buchrücken) erst in Händen, so weiß man, daß der anfangs hoch erscheinende Preis allemal gerechtfertigt ist. Über die Leistung der Herausgeber kann man nur staunen! Wenn sie sicherlich auch nicht alle erschienenen Artikel zur Kontroverse veröffentlicht haben, so doch derart viele, daß von einer bloßen "Textauswahl" nicht mehr die Rede sein kann. Die Herausgeber sind auf möglichste Objektivität bedacht und halten sich daher bewußt auch mit jedem eigenen Kommentar zurück. Neben der Vielzahl von Zeitungsartikeln und bislang unveröffentlichten Stellungnahmen finden sich im Band die Ausschreibungstexte, etliche Protokolle, Briefe, Satzungen, Expertisen, Presseerklärungen und vieles mehr.

Der besondere Vorzug der Dokumentation aber ist, daß sie die - weit über 500 - Wettbewerbsbeiträge abbildet und kurz beschreibt. Nur so kann ein bleibender Eindruck vom Dilemma der Kunst in der Konfrontation mit Auschwitz entstehen. "Seit der Erfindung des Nierentisches und der von innen beleuchteten Hausbar hat sich soviel geballte Häßlichkeit nicht mehr so ungeniert größenwahnsinnig dargeboten", hat Henryk M. Broder im Spiegel gespottet. Jetzt weiß man, was er meint.

Da gibt es einen 18 Meter hohen Stahlofen, der "Tag und Nacht gefeuert" wird. Ein Karussell mit Eisenbahnwaggons. Ein Gefäß für das Blut von sechs Millionen Toten. Einen "Schacht der Tränen". Eine gewaltige Kugel, "als hätte ein zorniger Gott sie mit elementarer Kraft in diesen historisch belasteten Boden geschleudert". Die Kunst ist der gewaltigen Aufgabe nicht gewachsen. Etliche Künstler entscheiden sich denn auch für die Leere. Freie Flächen, Hohlräume, tiefe Löcher, Gräben, Risse, wohin man sieht. Die Inszenierung des eigenen Scheiterns. Doch die meisten der Vorschläge werden ihrem dekonstruktivistischen Anspruch nicht gerecht. Zu offensichtlich ist der Versuch einer platten Zementierung der empfundenen Differenz.

Andere Beiträge beschränken sich nicht auf ein lautes, anklagendes Schweigen, sondern fordern ein Opfer der Gesellschaft, um die Dimensionen des Holocaust spürbar zu machen. Dabei ist der Vorschlag von Horst Hoheisel, man solle das Brandenburger Tor abreißen, zermahlen und als Staub auf dem Mahnmal-Gelände verstreuen, noch vergleichsweise harmloser Natur. - Eine andere Künstlergruppe fordert eine unterirdische Kernspaltung: "Mit einem Ritual wird der Opfer gedacht und die Gegenwärtigkeit der Tat symbolisch beschrieben. Die durchgehende Granitversiegelung der Fläche soll den Ermordeten die Würde geben. Die nukleare Explosion brennt das Böse im Untergrund aus." Vergangenheitsbewältigung im Zeitalter der Atombombe.

Vor diesem Super-Gau hat uns der Bundestag bekanntlich verschont. Kennt man erst alle Wettbewerbsvorschläge, so weiß man seine Entscheidung für das Stelenfeld von Peter Eisenman erst richtig zu schätzen. Im nächsten Jahr soll der erste Spatenstich sein. Die Debatte aber wird wohl auch danach weitergeführt werden.

Titelbild

Michael S. Cullen: Das Holocaust-Mahnmal.
Pendo Verlag, Zürich 1999.
297 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3858425192

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Titelbild

Ute Heimrod / Günter Schlusche / Horst Seferens (Hg.): Der Denkmalstreit - ein Denkmal? Die Debatte um das "Denkmal für die ermordeten Juden Europas". Eine Dokumentation.
Philo Verlagsgesellschaft, Berlin 1999.
1300 Seiten, 75,70 EUR.
ISBN-10: 3825700992

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Michael Jeismann: Mahnmal Mitte. Eine Kontroverse.
DuMont Buchverlag, Köln 1999.
220 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3770148207

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