Verlust von Form und Sinn

Martin Mosebachs Streitschrift wider die "Häresie der Formlosigkeit"

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Revolutionsjahr 1968, das Jahr der "Studentenrevolten [...], der chinesischen Kulturrevolution mit Millionen Toten, mit ihrer Bilderstürmerei, der Verwüstung von Tempeln und Kulturschätzen" war auch "das Jahr der Liturgiereform" - so polemisch pointiert und datiert wenigstens Martin Mosebach die unter dem Pontifikat Pauls VI. von der römischen Kurie verfügte Reform der katholischen Liturgie. Mit gewohnter Disziplin sei diese von den Bischöfen aufgenommen und in die Diözesen und Gemeinden weitergeleitet worden. Seither ist das Lateinische aus der katholischen Messfeier verschwunden und mit ihm ein Korpus spätantiker Gebetstexte von, wie Mosebach einleuchtend vorzuführen weiß, großer stilistischer Prägnanz und Nüchternheit. Der Priester steht nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde vor dem Altar, sondern dahinter "wie hinter einer Theke"; er sieht und singt seiner Gemeinde "mit froh geöffnetem Mund" ins Gesicht und legt bei der Kommunion den Gläubigen die Hostie nicht mehr auf die Zunge, sondern in die Hand - für Mosebach lauter Zeichen einer ikonoklastischen Selbstverstümmelung, die er als Gläubiger und in Liturgiegeschichte bewanderter katholischer Laie beklagt und unmissverständlich der klerikalen Hierarchie zur Last legt.

Nur hin und wieder erlaubt er sich, ein wenig zu lästern, so etwa, wenn er den Messreformierern und modernen Exegeten vorwirft, "daß bei soviel archäologisch-philologischem Sachverstand dann ein Jesus herauskommt, der Ehrenmitglied der SPD hätte sein können, ebenso frauenfreundlich wie Willy Brandt und ebensowenig auferstanden". Apropos Frauen. Vermutlich sieht Mosebach in der Gestaltung so mancher heutiger katholischer Altäre zuviel Frauengeschmack am Werk, bemerkt er dort doch statt der drei Lagen weißer Leintücher, die auf Jesu Grabtücher verweisen, beigefarbene Treviradecken sowie drei dicke Kerzen in handgetöpferter Tonschale in der einen Ecke und ein Ikebanagesteck aus Wurzeln und Trockenblumen in der anderen.

Herzstück dieser Streitschrift ist jedoch nicht die neue, sondern die alte Liturgie, ihre Verteidigung und Erklärung, um nicht zu sagen "Verkündigung", denn nichts weniger vollbringt Mosebach in den eindrucksvollsten Passagen seiner Betrachtungen. Überzeugt und unverkrampft spricht er von der Wahrheit, die sich in der Messe als Opfer des Gottmenschen immer wieder aufs Neue offenbart. Mosebachs Hauptvorwurf gegen den päpstlichen "Gewaltakt" von 1968 geht denn auch dahin, dass der tatsächliche Charakter des Messopfers nicht mehr ernstgenommen, dass er nicht mehr geglaubt werde. Damit begebe sich die katholische Kirche ihres geistlichen Kraftzentrums und der Substanz ihres Glaubens, was ihre Zukunft ungewiss mache. Nur die Tugend der Hoffnung scheint es dem klagend anklagenden Autor zu verbieten, seinen spürbaren Zweifeln an der Zukunft der Kirche stärkeren Ausdruck zu geben.

Mosebachs Glaube an die, seiner Ansicht nach, von der obersten katholischen Autorität verlassene Wahrheit geht einher mit seiner Pietät für die Tradition der Form. Er besteht auf der Identität seines religiösen und seines ästhetischen Gewissens, und dies vermag er glaubhaft und nicht ungewitzt zu vermitteln. Die preisgegebene uralte, "in höchstem Maß gebändigte, durchformte, unpersönliche und unsubjektive Liturgie" sieht er als ein nicht geschaffenes, sondern gewachsenes Kunstwerk, wie dieses nach Sinn und Form untrennbar eins. "Liturgie ist Kunst."

Wer so denkt und empfindet, dem sind schon die Kirchenlieder des 19. Jahrhunderts zuwider, die in der Messe vor der Reform gesungen wurden. Zu ihnen, Zugeständnissen an den Erfolg des protestantischen Kirchenliedes, will Mosebach nicht zurück, falls es überhaupt ein "Zurück" gibt. Vorerst gilt seine ganze Hoffnung dem "gehorsamen Ungehorsam" unbeugsamer Priester, die für sich oder vor kleinsten Gemeinden das alte Opfer begehen.

Mosebach legt unbekümmert um ökumenische Empfindlichkeiten dar, worin nach seiner Überzeugung einer der wesentlichen, wenn nicht der Hauptunterschied zwischen den christlichen Konfessionen hierzulande beruht und wie weit dieser Unterschied inzwischen durch katholisches Nachlassen an Glaubenstreue verwischt ist. Gleichwohl oder vielleicht sogar deswegen findet das Buch allem Anschein nach beträchtliche Resonanz - denn wie anders läßt es sich verstehen, dass die Feuilleton-Rezension der am Gründonnerstag 2003 von Johannes Paul II. feierlich unterzeichneten Enzyklika "Ecclesia de Eucharistia" mit dem Satz beginnt: "Hat der Papst dem Romancier Martin Mosebach nun recht gegeben oder nicht?" (Christian Geyer in FAZ vom 19.4.2003). Die Anspielung auf den Mangel des "Romanciers" an liturgiegeschichtlicher Fachkompetenz mag Mosebach leicht verschmerzen, denn immerhin beantwortet der Rezensent die selbstgestellte Frage mit "teils, teils".

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Martin Mosebach: Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind.
Karolinger Verlag, Wien 2002.
158 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3854181027

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