Personen des öffentlichen Interesses

Ein Gespräch mit Alban Nikolai Herbst

Von Stephan KleinerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Kleiner und Roman KernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Kern

Wie weit darf die Freiheit des Künstlers gehen, bzw. ab welchem Punkt muss der Persönlichkeits-Bereich des Einzelnen geschützt werden?

Herbst: Wenn eine für eine große Allgemeinheit erkennbare Person mit schlechten Gründen - also hämisch - desavouiert wird, kann dies in meinen Augen durchaus Grund für eine juristische Intervention sein. Dabei ist allerdings abzuwägen, dass wir, sollte ein solches Kunstwerk verboten werden, auch auf Bücher von Robert Musil, vor allem aber auf den kompletten Dante verzichten müssten. Die Frage ist also vor allem, inwieweit ist die formale Durchdringung eines Stoffes geglückt, d. h. ebenfalls: Inwieweit wurde aus einer (erkennbaren) natürlichen Person eine literarische Figur. Um letzte handelt es sich immer dann, wenn der im Roman beschriebene Charakter auch ohne Kenntnis der oder des vermeintlich Porträtierten auskommt. B r a u c h t die Romanfigur ihre "Vorlage" nicht, finde ich ein juristisches Vorgehen für nicht nur irrig, sondern halte es für zutiefst kunstfeindlich.

Der Gedanke, es dürften keine erkennbare "Personen des Öffentlichen Interesses" desavouiert werden, bedeutet ja gerade, dass die konkrete Person derart bekannt ist, dass sie sich über die literarische schiebt und es den Lesern unmöglich wird, die Kunstfigur zu erleben. In diesem Gedanken ist der Kunstvorbehalt insofern enthalten, als die allgemeine Bekanntheit einer Person das Entstehen von Kunst gerade verhindern kann ... weshalb Opern wie Adams' "Nixon in China" prinzipiell scheitern müssen. Erst in, sagen wir, dreihundert Jahren, wenn sich die Öffentliche Person an sich literarisiert hat, ist daraus Kunst zu destillieren.

Es gibt da ein in diesem Zusammenhang interessantes Zitat aus der SZ mit Datum vom 25./26. Oktober 2003 - es geht dabei um die Verhandlung, die Ihr Buch betraf:"Unmißverständlich machte die Richterin deutlich, dass biographische Anspielungen allein kein Verbot des Romans begründen können". Trotzdem wurde Ihr Roman verboten. Wie erklären Sie sich das?

Herbst: Es war dieselbe Kammer, die die einstweiligen Verfügungen erließ. Zudem meinte man wohl, nun endlich einmal etwas gegen die Welle der als Werbemaßnahme vor Gericht ausgetragenen Indiskretionen tun zu können; versteh' ich, den Leuten steht die Naddel-Scheiße bis zum Kehlkopf. Und schließlich hatte man vielleicht den Eindruck, hier räche sich ein so [lacht] mächtiger Mann wie ich unter missbräuchlicher Ausnutzung der gesamten denkbaren Medienpräsenz an einer armen jungen Frau. Da von "Rache" bei diesem Text nicht die Rede sein kann, nehm ich an, man hält bereits die leidenschaftliche Schilderung erotischer Fantasien für üble Nachrede ... Was mehr über die sexualfeindliche Moral der auf ihn angewandten juristischen Grundlagen als über meinen Roman selbst aussagt.

Es wird viel über die neue Lust an der literarischen Grenzüberschreitung diskutiert. Ist das in Ihren Augen berechtigt?

Herbst: Hoffentlich. Grenzüberschreitung war immer das Thema und ein Substrat von Kunst, jedenfalls der nicht-akademischen. Und es ist auch immer versucht worden, die Lust daran niederzudrücken, zumindest sie schartig zu machen.

Mancher Kommentar zielte darauf ab, Ihre Motivation als Autor auf das Bedürfnis nach einer Abrechnung mit Ihrer ehemaligen Partnerin zu reduzieren. In diesem Zusammenhang formulierte Thomas Mann einmal, er habe "seit 1897 öffentlichkeitsfähige Formen und Marken gefunden, um seine Verachtung, seinen Stolz, seinen Hohn und seine Anklage zu Papier zu bringen." Wie sehen sie diesen Problemkomplex im Zusammenhang mit Ihrem Buch?

Herbst: Erstens. Wahr ist, dass sich ein Künstler immer mit der Projektion von "Ewigkeit" rächt. Wenn die/der Angegriffene das im übrigen höchst problematische Konstrukt von Ewigkeit teilt, ist es für sie/ihn bitter. Wird das Konstrukt nicht geteilt, ist die Sache allerdings ziemlich lächerlich. Es geht also um internalisierte Ideologie, so oder so. Zweitens. Mein Roman spielt mit diesem Konstrukt, aber nicht wegen einer vermeintlichen Rache, sondern für einen modernen und in seiner Gegenwärtigkeit hoch ambivalenten Liebes-Mythos: Hier wird eine auch erotische Obsession als "für ewig" beschworen ... was ja zu unser aller Leid nur mit Figuren, niemals mit lebenden Menschen geht, deren Neigungen der Vergänglichkeit unterliegen. Kurz gesagt, hier waltet ein vielleicht von einem ganz anderen als dem bekannten Gegner boshaft arrangiertes Missverständnis.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Realität und Fiktion bei der Entstehung eines Buches? Was soll ein Autor literarisieren, wenn nicht Erlebtes?

Herbst: Jeder Text ist an sich schon Fiktion; insofern beruht auch die Annahme "dokumentarischer" Literatur auf einem Irrtum ... an dem im übrigen unsere gesamter sogenannter Realismus krankt. Der Einwand des Persönlichkeitsrechtes schützt ja gerade auch diese Wahrheit: Eine Dichtung kann einer realen Persönlichkeit gar nicht gerecht werden, sie kann sie nicht beschreiben; so etwas kann also auch nicht literarisches Anliegen sein. Kein Satz wird jemals an die Gegenwart eines Glases Wasser reichen. Sätze lassen einen verdursten, wenn es dörr ist.

Zum zweiten hat die fantastische Literatur - in Deutschland etwa die Heinrich Schirmbecks - sehr wohl nicht-erlebte (und nicht-erlebbare!) Sachverhalte - in seinem Fall quantenphysikalische - zu Dichtung gemacht; auch Dante war zur Zeit seines "Infernos" nicht in der Hölle, und ich bezweifle, ob einer der beiden Homers Odysseus zur Seite stand. Aber darum geht es ja auch gar nicht, sondern es muss möglich sein, sowohl Erlebtes als auch Mythisches und Überliefertes zu literarisieren, sonst engt man den juristischen Spielraum von Literatur auf sehr sehr wenige Segmente ein, bzw. überlässt es dem Zufall, ob sich gegen ein Buch Kläger finden oder nicht ... - Nebenbei bemerkt ließe sich hier ein ganzer Zweig der Unterhaltssicherung neu etablieren: "Entweder, Sie zahlen mir monatlich Euro XY, oder ich klage gegen das Buch." Dann muß der Verlag schnell rechnen, was ihn billiger kommt. Und ich garantiere Ihnen, dass man das den Autoren vom Honorar subtrahieren wird. [lacht]

Hatten Sie selbst beim Schreiben des Buches oder im Gespräch mit dem Verleger jemals Sorge, das Buch könnte verboten werden?

Herbst: Nein. Gerade bei Kenntnis dieses Klägers nicht. Ich glaube bis heute nicht, dass tatsächlich dieser Kläger dahintersteckt. Ich glaube vielmehr, er ist Einflüsterungen erlegen und vertritt - ohne es zu wissen - anderer Leute Interessen, denen Literatur und Kunst vollkommen schnuppe sind.

Oft entscheidet nur der Grad der Verschlüsselung darüber, ob ein Buch erlaubt bleibt oder verboten wird. Inwieweit kann es überhaupt Sache der Gerichte sein, in diese Bereiche einzudringen?

Herbst: Na ja, was bleibt ihnen, werden sie angerufen, übrig? Die Crux ist, dass ein funkionierendes Rechtssystem funktional sein muss, also zweiwertig ... hingegen Domäne der Kunst die Ambivalenz ist, Vermischung, Verfälschung, Umdichtung, Metamorphose. Darüber kann kein Gericht etwas sagen und muss also auf dem eineindeutigen "Sinn" eines Wortes und Satzes beharren, - auf dem, was bei Benjamin der "Begriffsanteil" eines Wortes ist und eben nicht der "Name", den die Kunst konstelliert. Hier geraten zwei prinzipiell unvereinbare Sphären aneinander; ich glaube sogar, dass sie sich nicht einmal ineinander übersetzen lassen. Das, was aus einer realen Vorlage die Kunstfigur macht - nämlich der Stil eines Buches und die semantischen Höfe, die in ihm leuchten - können (und dürfen!) dem Urteil eines Gerichts gar nicht zugänglich sein. Es liegt mir also fern, auf die Richter der Ersten Instanz sauer zu sein; ich hätte an ihrer Stelle möglicherweise ebenso geurteilt und doch zugleich gewusst, dass ich mich irre, dass ich also Unrecht tun muss oder mich besser, um das zu vermeiden, auf den Kunstvorbehalt berufe. Wirklichkeit ist nicht eindeutig, aber die Jurisprudenz darf und kann genau das nicht kalkulieren. Das Problem inkriminierter Bücher beginnt in dem Moment, da ein Gericht angerufen wird; es ist keine Frage der Rechtsprechung an sich. Es ist die Frage, ob ein Kläger die Existenz von Kunst will.

Das Problem einer Klage ist, dass der Skandal erst ausgelöst und der Kläger eigentlich identifizierbar wird. Sehen Sie die Position der Klägerin als Ausdruck echter Verletztheit oder als Schachzug im Kampf um Aufmerksamkeit?

Herbst: Ich deutete schon an, dass ich wahrscheinlich niemals daran glauben werde, dass der Kläger selbst hinter diesem Prozess steht. Worin die Verletzung bestanden haben mag, ist mir bis heute höchst unklar; es wird ja nirgends Ehrenrühriges erzählt noch der Kläger als reale Person dargestellt, sondern poetisch eine sich tief und tiefer eingrabende Liebe gestaltet, die schließlich an gänzlich außerhalb der Einflussmöglichkeiten beider Liebenden liegenden Dynamiken zerbricht - an unbewussten, vererbten Familienstrukturen, an historischen Umständen, an Charakterdispositionen usw. ... Man kann meinen Roman durchaus im klassischen Sinn einen "tragischen" nennen. Nun mag es dem Kläger an der einen oder anderen Stelle zu "nackt" gewesen sein, zu direkt, zu wenig unter den "Beziehungsschrank" fegend, das mag sein ... aber die Protagonisten des Romanes sind ja aus den genannten Gründen nicht identisch mit ihren Urbildern ... und schon gar nicht sind sie es für irgendeinen Leser.

Über den zweiten Teil Ihrer Frage mag ich nicht spekulieren ... und außerdem meine ich, dass diejenige(n), die wirklich hinter dem Prozeß steht/stehen, eben kein Interesse an Öffentlichkeit hat/haben.

Es fällt auf, wie häufig Frauen klagen und dass sie fast nie kompromissbereit sind. Mit Ihrem Fall war zudem eine junge Richterin betraut. Sehen Sie das als postfeministische Zensur?

Herbst: Also das finde ich Unsinn, verzeihen Sie. Frauen sind mit Sicherheit nicht sexualfeindlicher als Männer; jedenfalls nicht die Frauen, die ich kenne. Und dass Geschlecht oder Alter die "Qualität" eines Richters bestimmen, glaube ich nicht. Aber etwas anderes mag mitschwingen: In den Jahrhunderten ihrer Unterdrückung haben Frauen gelernt, das Geheimnis zu schätzen. Vielleicht ist ihnen deshalb der direkte (männliche = gerichtete) Blick unangenehm. Sie möchten bedecken. Lesen Sie Paglia, dann wissen Sie, was ich meine.

Inwieweit sehen Sie sich als Opfer einer persönlichen Abrechnung bzw. einer literarischen Rivalität?

Herbst: Wer soll bitte mit mir rivalisieren? Der Kläger? Nun wirklich nicht. Und als Opfer eigne ich mich nun gar nicht. Den Terminus "Abrechnung" finde ich angesichts dieses Buches und insgesamt meines Werkes völlig unangebracht; aber auch umgekehrt: Weshalb sollte der Kläger mit mir "abrechnen" wollen? Weil ich eine Liebesgeschichte erzählt habe? Ist der Tristan für Abrechnung ein Grund? Selbst Marke, ein L e h n s herr, verzieh.

Es stellt sich das Problem der Präzedenzfälle: Sehen Sie Gefahr, dass sich hier eine neue Rechtspraxis festsetzt?

Herbst: Ja. Und ich denke, sie hat soziologische Gründe. Der Fokus unserer Gesellschaft verschiebt sich von der Öffentlichen Hand auf das Privatinteresse, was eine Folge des am US-amerikanischen System orientierten Umbaus der sozialen Marktwirtschaft in den sich privatisierenden Liberalismus ist. Die einzelne Person wird gestärkt, nämlich sowohl die natürliche wie die juristische (also eine Firma etwa). Um letztere geht es selbstverständlich. Das bedeutet, man kräftigt die Position des Privateigentums, wozu übrigens auch etwas aus künstlerischer Sicht so Unsinniges wie das "geistige Eigentum" gehört ... ein schrecklicher und dummer Begriff, der, wenn man ihn rechtmäßig anwendete, jede Collage Gegenstand einer Klage werden ließe. Außerdem hätten wir zwei Drittel Händel und Bach nicht ... Poe's Usher wäre verboten usw. usf. Das ist alles kompletter Blödsinn. Ideen sind frei, und es kommt darauf an, wer sie wie gestaltet. So etwas unterbinden zu wollen, liegt auf einer ganz furchtbaren Linie.

Was bedeutet das Urteil für Sie als Autor?

Herbst: Sollte es in letzter Instanz bestätigt werden: den Ruin. Aus Prozesskostengründen. Aber das ist egal, ich komme schon irgendwie durch. Und meine Literatur wird es nicht anfechten ... auch nicht, dass ich nun gerade - neben dem Dritten Anderswelt-Buch - ein neues heikles Thema anfasse. Nur für meinen Jungen wäre es blöd, weil ich ihm vieles nicht mehr schenken könnte, wovon ich für ihn träume: Musikschule, das Instrument, die nicht-staatliche Schule, evtl. Schulpforta usw. Na wir werden sehen.

Wie wurde in Ihrem Fall die Frage nach der Honorierung gelöst?

Herbst: Eine solche Frage hat sich nie gestellt. Oder bekommt man neuerdings als Beklagter Gehalt? [Lacht]