Wissensgesellschaft, Leistungsdruck, Wettbewerb

Die Deutsche Bank lässt über zukünftige Bildung fabulieren

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf dem Titelbild des Buches "Orientierung für die Zukunft - Bildung im Wettbewerb", herausgegeben von der Alfred Herrhausen Gesellschaft für internationalen Dialog (ein "Forum" der Deutschen Bank), ist eine rote Laufbahn mit großer Hürde abgebildet, die sich irgendwo im hinteren Nichts verliert. Dieses Bild enthüllt deutlich die Ansichten oder (Absichten?) der herausgebenden Gesellschaft über das Thema "Bildung im Wettbewerb": Es geht ums Schnell-sein, Hürden überwinden, gegen andere gewinnen - und all das angesichts einer ungewissen Zukunft. Das Buch ist in fünf Themenbereiche unterteilt, die jeweils mit einem Bild eines Kunstwerks aus der Sammlung Deutsche Bank und einem Zitat eines Bildungsklassikers (z. B. Heine, Goethe, Bacon) eingeleitet werden. Man bemüht sich also, auch den schönen Künsten adäquaten Raum zu geben.

Im Buch findet man gesammelte Aufsätze illustrer Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kunst. Gemeinsam ist den drei Autorinnen und 18 Autoren (sic!), dass sie (sofern sie einen Doktortitel besitzen) ihre Promotion mit spätestens Anfang 30 in der Tasche hatten und bezüglich bestimmter Punkte im Konsens sind: Prinzipien der Leistung, des Vernetzens, des Wandels und des Wettbewerbs werden in keinem Aufsatz grundsätzlich angezweifelt. Diese erscheinen vielmehr als feste Säulen der zukünftigen Bildung. Darum herum ranken sich die immer gleich klingenden, aber oft wenig aussagekräftigen Formulierungen, die gebetsmühlenartig das Credo des Wettbewerbs sowie ein Lamento auf den immer schnelleren Wissensverfall wiederholen. So beschreibt der Direktor der European School of Governance, Thomas R. Henschel, die Situation wie folgt: "Die immer dynamischere Globalisierung der Märkte, die durch die Digitalisierung angetriebene Informationsflut erhöhen den weltweiten Wettbewerbs- und Anpassungsdruck. Sie machen immer drastischer deutlich, dass Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen sich selbstorganisierend und nicht deterministisch bewegen - in eine ungewisse Zukunft."

Die Autoren und Autorinnen versäumen es natürlich auch nicht, auf Missstände hinzuweisen, Rücksichtnahme anzumahnen und auf die Problematik der "Bildungsverlierer" hinzuweisen. Letztlich wird jedoch deutlich von allen die Position vertreten, dass negative Konsequenzen vermieden werden können, wenn nur richtig 'wettbewerbt' wird - was natürlich eine positive Grundhaltung zu den Säulen der sogenannten Wissensgesellschaft voraussetzt: Flexibilität statt Sicherheit, Selektieren statt Umfassen, schnell statt tief. Sehr deutlich wird dies in dem Aufsatz von Peter Glotz, der nach seiner politischen Tätigkeit jetzt Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen ist. Glotz entwirft das Bild einer Gesellschaft, bei der zwei Drittel erfolgreich ein "beschleunigtes" Leben innerhalb des "digitalen Kapitalismus" führen, während das übrig bleibende Drittel sich entweder bewusst verweigert oder aufgrund von Arbeitslosigkeit ausgegrenzt wird. Diese Gruppe ist damit in so genannte "Down-Shifting-Prozesse" involviert, das ist "die erzwungene oder bewusste Entscheidung, materielle Ziele herunterzustufen und an ihre Stelle immaterielle zu setzen." Glotz wünscht sich offensichtlich nicht ein starkes Auseinanderdriften der beiden Gesellschaftsgruppen, wenn er zu bedenken gibt, dass mit offen geführten Dialogen eine gegenseitige Akzeptanz der Lebensentwürfe erreicht werden könnte, aber gleichzeitig geht es ihm darum, Studiengebühren einzuführen, Eliten auszubauen und Deutschland mit neuer "Leitkultur" an die Weltspitze zurückzubringen. Insgesamt macht die interessante Vorstellung von Glotz einen unausgereiften Eindruck, da er sich teilweise auch zu widersprechen scheint. Mit einer These hat er aber bestimmt ins Schwarze getroffen: "Aufstieg und Gleichgültigkeit liegen eng beieinander."

Insgesamt ist es ein wenig enttäuschend, dass auch Politiker wie Bundespräsident a. D. Johannes Rau oder Ministerpräsident Wolfgang Thierse nicht offensiver Kritik am "Turbokapitalismus" und der damit verbundenen "Wissensgesellschaft" üben. Es scheint allen schwer zu fallen, tatsächliche Lösungskonzepte für die Probleme der "Bildung im Wettbewerb" zu benennen, die zu Recht angemahnt werden. Vielleicht liegt das daran, dass diese Lösungen nicht mit der "Wissensgesellschaft" vereinbar wären? Es lässt sich natürlich auch schwer umfassend und allgemeingültig über etwas so abstraktes wie Bildung der Zukunft als solche sprechen. Daher bieten die Aufsätze, die das Thema auf fassbare Situationen und reale Probleme 'herunterbrechen', letztlich mehr Inhalt als die allgemein gehaltenen: Kofi Annans Aufsatz zur "Bildung aus globaler Perspektive" beinhaltet konkrete Pläne zum Thema, wie den Frauen weltweit der Zugang zur Bildung ermöglicht werden kann. Klaus Töpfer macht Umweltbildung abhängig vom Erleben von Umweltverschmutzung und dem daraus entspringenden Handlungsbedarf der Betroffenen. Wolfgang Frühwald, der Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, hinterfragt detailliert den Begriff der "Wissensgesellschaft" und gibt als Einziger ausführliche Literaturhinweise, anhand derer seine Thesen auch geprüft werden können.

Titelbild

Orientierung für die Zukunft. Bildung im Wettbewerb.
Herausgegeben von der Alfred Herrhausen Gesellschaft für internationalen Dialog.
Piper Verlag, München 2001.
229 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3492043313

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