Frauen der Wissenschaft

Romana Weiershausen untersucht die Studentin in der Literatur um 1900

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht nur in Disziplinen wie der Germanistik stellen Studentinnen heute die Mehrzahl der Studierenden. Man kann ohne weiteres behaupten, dass Frauen inzwischen die Hälfte des universitären Himmels erobert haben - wenn auch bis auf weiteres nur auf studentischer Ebene. Doch immerhin dort. Vor einhundert Jahren sah das noch ganz anders aus. Um 1900 wurde hierzulande noch erbittert darum gefochten, ob Frauen zum Studium zuzulassen seien. Die Debatte um das "Frauenstudium" entzündete sich nicht zuletzt an der Frage, ob Frauen zum Studium der Medizin befähig seien. "Eine Medizinerin, deren Studium Wissen und Sprechen über Sexualität mit sich brachte, stand per se im Widerspruch zum Sittlichkeitsdiskurs, in dem 'Unschuld' (als 'Nicht-Wissen') für Frauen und 'Schamhaftigkeit' (als Schweigegebot) für Frauen Rollenvorgaben waren", stellt Romana Weiershausen in ihrer Untersuchung "Wissenschaft und Weiblichkeit" fest. So wurde das Medizinstudium nachgerade zum "Testfall" für das bestehende Geschlechtersystem, da ihm "prinzipielle Bedeutung für die geschlechterhierarchisch und arbeitsteilig organisierte Gesellschaft" zukam.

Weiershausens eigentliches Interesse gilt jedoch weniger der Diskussion um das "Frauenstudium im Diskurs der Jahrhundertwende" im Allgemeinem, zu dem ja auch bereits die eine oder andere Untersuchung vorliegt. Vielmehr konzentriert sich ihr Erkenntnisinteresse auf "die Studentin in der Literatur der Jahrhundertwende", wie der Untertitel ihrer Arbeit lautet, also auf die literarisierte Studentin und somit auf einen Teil des Diskurses, der bislang als noch unbeforschter weithin im Dunkeln lag. Ein Dunkel, in das die erhellenden Ausführungen der Autorin nun einiges Licht zu bringen vermögen. Untersuchungsgegenstand sind Texte, die zwischen 1867, dem Jahr, in dem Frauen erstmals das Immatrikulationsrecht an einer deutschsprachigen Universität erhielten, und 1914, dem Beginn des 1. Weltkriegs, entstanden sind, wobei zu vermerken ist, dass das Sujet von 1908 an nahezu verschwunden war und erst in der Weimarer Republik wieder aufkam.

Wie Weiershausen zeigt, "überlagern" sich in der Figur der Studentin "die um 1900 virulenten Diskurse um Geschlechterdifferenz, Sittlichkeit, Wissenschaft und Leben", was sich auch darin niederschlägt, dass sich die Literatur der Zeit "in vielfältiger und kontroverser Ausprägung" mit der Studentin respektive der Akademikerin befasst. Sei es als "Revisorin der Gesellschaftsordnung" (wie in Käthe Schirmachers "Die Libertad" oder in Ilse Frapans Romanen "Wir Frauen haben kein Vaterland" und "Arbeit"), als "Bewahrerin deutscher Kultur" (Ella Menschs "Auf Vorposten"), als "Frau, die 'menschliche Mannigfaltigkeit' verkörpert" (Lou Andreas-Salomés "Fenitschka"), als "aufgeklärter Mensch, der zu einer vollkommenen Liebe fähig ist" ( Ernst Rosmers [d. i. Elsa Bernstein] "Dämmerung") oder als "'degeneriertes Zivilisationsprodukt', nämlich als Frauenrechtlerin, die ihr Kind abtreibt" (Erwin Guido Kolbenheyers "Montsalvasch"). Hiermit sind auch schon die meisten der Werke genannt, anhand derer die Autorin die Wirkungen, Besetzungen und Funktionen des Sujets der Studentin in der deutschsprachigen Literatur um 1900 "auslotet". Hinzu tritt nur noch Gerhard Hauptmanns "Einsame Menschen".

War, wie die Autorin konstatiert, das Frauenstudium vor dem Hintergrund der im Studentenroman gestalteten Akademikersentimentalität eine Provokation, so gilt dies mindestens ebenso sehr für Romane und Novellen, die Studentinnen literarisierten, bot ihnen doch die "Folie des Studentenromans" einen "subversiv nutzbaren Rahmen", indem sie etwa die genre-eigenen Vorgaben und die Erwartungen der Lesenden "produktiv enttäusch[en]" konnten. Denn gegenüber dem "relativ eindimensionalen Unterhaltungsgenre" des herkömmlichen Studentenromans, dessen Helden die Studienzeit ein Rückzug von der Welt gewährt, steht bei den literarisierten Studentinnen gerade die "Auseinandersetzung mit der aktuellen gesellschaftlichen Wirklichkeit" im Mittelpunkt der Handlung.

Dass selbst das weibliche Scheitern an der Wissenschaft subversiv sein kann, zeigt Weiershausen am Beispiel der Protagonistin Lilie Halmschlag in Ilse Frapans Roman "Arbeit". Denn es ist hier nicht die Fähigkeit 'der Frau', die den Wissenschaften nicht genügen kann, vielmehr erweist sich die Wissenschaft als ungeeignet, "den höheren moralischen Ansprüchen der Frau zu genügen". So wird die um 1900 virulente Frage, ob 'die Frau' dazu befähigt sei, Wissenschaft zu betreiben, subversiv zu der Frage gewendet, ob die moralische Integrität 'der Frau' wissenschaftliche Betätigung zulässt. Wie die Autorin zeigt, entfaltet der Roman sein kritisches Potenzial, indem er sämtliche Erwartungen des herrschenden Diskurses einlöst, "sich aber gerade dadurch gegen diesen wendet".

Anders als in Frapans "Arbeit" steht das studentische Dasein der titelstiftenden Protagonistin in Andreas-Salomés "Fenitschka" nicht im Mittelpunkt der Erzählung. Im Unterschied zu den "sozialpolitisch zu situierenden" Werken von Schirmacher, Mensch und Frapan erschließt sich Salomés "erst im Kontext des philosophisch-weltanschaulichen Diskurses der Zeit". Gleiches gilt für Kolbenheyers "Montsalvasch", mit dem Weiershausen "Fenitschka" vergleicht, wobei Salomés Arbeit zweifellos interessanter ist als das krude "biologistische Konzept", das Kolbenheyers misogynes Werk kennzeichnet. Weiershausen interpretiert Salomés Novelle vor dem geschlechtertheoretischen Hintergrund, den die russische Autorin in ihrem Essay "Der Mensch als Weib" dargelegt hat. Ein Werk, das sich durchaus "auf der Höhe ihrer Zeit" befunden habe. Wie Weiershausen zeigt, hat Salomé die Figur Fenitschka gemäß der in ihrem Essay entwickelten Geschlechterkonzeption entworfen, d. h. als Ausdruck einer "'weiblichen' Ganzheitlichkeit", die gegenüber einer "'männlich' spezialisierten und entfremdeten Gesellschaft" eine "Bereicherung" darstellt. Von besonderer Bedeutung für Salomés Geschlechtermodell war Weiershausen zufolge ihre Auseinandersetzung mit Nietzsche, dessen für den Mann geltenden "Ideale" sie auf die Frau übertragen habe. So zeige Salomés Monografie "Nietzsche in seinen Werken" (vgl. literaturkritik.de 9/2000) eine "originelle, so bei Nietzsche nicht ausgebrachte Geschlechterperspektive".

Weiershausens aufschlussreiches Werk wird von einer Bibliografie der Erzählliteratur und Dramen um Akademikerinnen aus der Zeit um die Jahrhundertwende beschlossen.

Titelbild

Romana Weiershausen: Wissenschaft und Weiblichkeit. Die Studentin in der Literatur der Jahrhundertwende.
Wallstein Verlag, Göttingen 2004.
295 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 3892448310

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