Sieben dürre Jahre

Paul Nizon in der Existenzkrise

Von Katharina HübelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Hübel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Schriftsteller schreibt das Drehbuch eines Filmes, in dem er nicht Regie führt und der schon längst gedreht ist: das seiner Liebe(n). Paul Nizons 2004 erschienenes "Drehbuch der Liebe" ist die Fortsetzung der Publikation des Journals des Schweizers und umfasst die Jahre 1973-1979. Innerhalb dieser sieben Jahre beschreibt er Persönliches und Berufliches, erzählt von seinen Aufenthalten in London, Paris, Italien und seinem unsteten Leben als Projekt "Abschied von Europa". In Anlehnung an seinen Bestseller von 1981, das "Jahr der Liebe", benannt, könnte dieser Teil des Tagebuchs Nizons allerdings auf eine falsche Fährte führen. Die spannungsreiche Beziehung zwischen Odile und Nizon, auf die der Titel hinweist, spielt sich lediglich innerhalb des Jahres 1977 ab.

Dieser für den Leser wohl interessanteste Teil des Buches umfasst genau 50 der 282 Seiten. Gegenseitige Abhängigkeit und gleichzeitige Abstoßung kennzeichnen die heftige Liebesaffaire mit Odile, einer Französin. Die acht Monate Verliebtsein kosten Nizon innere Ruhe, Inspiration, Sesshaftigkeit und vor allem die Ehe mit seiner zweiten Frau Marianne. Was dieses Beziehungswirrwarr spannend macht, ist sein ungewöhnlicher Verlauf. So benutzt der Vater beispielsweise seine Tochter Valérie als Kupplerin, um den Kontakt zu seiner Affaire Odile herzustellen, die eine gleichaltrige Freundin Valéries ist.

Für den Nizon-Fan bereichernd sind die zahlreichen Themen, die der Autor während dieser sieben, schriftstellerisch insgesamt recht unfruchtbaren Jahre anschneidet, ausführt und damit auf kommende Romane vorausgreift. Interessant sind weiterhin neben Reflexionen zu eigenen Romanen die - allerdings sehr kurz gehaltenen - Bemerkungen über seinen Verleger Siegfried Unseld, seinen ehemaligen WG-Genossen Elias Canetti, über Handke oder auch Robert Walser.

Ein Problem - weniger des Genres Tagebuch, als vielmehr der Edition dieses Journals - ist es, dass zwar eine chronologische Gliederung nach Jahren existiert, inhaltlich jedoch wenig Struktur vorhanden ist. So ist die Lektüre teilweise sehr repetativ, vor allem, wenn es um die Existenzkrise des Autors geht, die die sieben beschriebenen dürren Jahre voll anzudauern scheint. Sie endet häufig in narzisstischem Selbstmitleid, was auf die Dauer eher abstoßend wirkt. Andere Perspektiven oder eine Veränderung der Wahrnehmung des eigenen Daseins sind in den sieben Jahren Journal nicht zu bemerken. Zudem kann dem Leser bei diesem Tagebuch kaum die schriftstellerische Qualität Nizons bewusst werden, da es auf weite Strecken keinen Erzählstrang gibt. Es reihen sich häufig eher Gedankenfetzen aneinander. So kann man das "Drehbuch der Liebe" eher als eine ausformulierte Stichwortsammlung als etwa ein erzählendes Tagebuch ansehen.

Allerdings macht dies das Nachwort des Herausgebers, Wend Kässens, wieder wett: Es ordnet und strukturiert die Notizenflut im Hinblick auf die Hauptideen des Werkes Nizons.

Titelbild

Paul Nizon: Das Drehbuch der Liebe. Journal 1973-1979.
Herausgegeben von Wend Kässens.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
282 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-10: 3518416391

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