Der gereimte Knecht im Gegenlicht

Über einen von Christoph Weiß herausgegebenen Sammelband zu "Ludwig Börnes Goethe-Kritik"

Von Heidi-Melanie MaierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heidi-Melanie Maier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man darf Goethe nicht nicht mögen. Und besonders schwierig gestaltet sich der Umgang mit Goethe-Kritik, wenn diese von einem anerkannt klugen Menschen stammt. Denn es lässt sich dann schlechterdings sagen, dass derjenige Goethe nicht verstanden habe. Neid könnte man unterstellen, aber mit analytischer Tiefenpsychologie tun sich die meisten Literaturwissenschaftler zu Recht schwer. Deshalb nimmt man die Kritik artig ernst, verweist aber auf die Holzschnittartigkeit, in der Goethe vom jeweiligen Kritiker gezeichnet wird. Zumeist heißt dies dann "Goethe im Gegenlicht" - so auch im Nachwort von Inge Rippmann zu dem von Christoph Weiß herausgegebenen Bändchen "Ludwig Börnes Goethe-Kritik": "Goethe erscheint hier weitgehend im Gegenlicht, das heißt im Licht seiner Kritiker und Gegner, insbesondere im Licht, in dem ihn Börne sieht. In einer solchen Beleuchtung wird keine ganzheitliche Gestalt erkennbar, es werden lediglich Konturen wahrnehmbar; der selbstgeworfene Schatten des visierten Gegenstandes erschwert das Erkennen einzelner Züge." Und dann beeilt man sich noch zu sagen, dass die begeisterte, unreflektierte Verehrung Goethes ebenfalls unzulänglich sei.

Undifferenziertheit kann man Börne nicht vorwerfen. Börne war zunächst einmal ein ausgezeichneter Kenner des Goethe'schen Werks. Er verehrte das Frühwerk - Werther, Götz und Egmont - sowie das lyrische Werk. Börnes Kritik an Goethe war vielmehr gesellschaftspolitischer und stilkritischer Natur und bezog sich deshalb auch in erster Linie auf Goethes autobiografisch orientierte Werke. Zum einen sah Börne bei Goethe mangelndes politisches Bewusstsein, das er vor allem an dessen selbst konstatiertem Ignorieren der Französischen Revolution festmachte: "Hier muß ich noch einer Eigenthümlichkeit meiner Handlungsweise gedenken. Wie sich in der politischen Welt irgendein ungeheures Bedrohliches hervorthat, so warf ich mich eigensinnig auf das Entfernteste." Zum anderen kritisierte Börne bei Goethe das Formprimat, in dem er vor allem eine emotionale Teilnahmslosigkeit sah.

Dies alles ist in dem vorliegenden Band - sowohl in den versammelten Textstellen als auch in dem von Inge Rippmann nicht anders zu erwartenden kenntnisreichen Nachwort - nachzulesen. Wirklich Neues findet sich darin nicht. Rippmann hatte die Kernpunkte ihres Nachwortes bereits in einem Aufsatz in dem 2004 erschienenen Band "Goethe im Vormärz" des Forums Vormärz-Forschung veröffentlicht. Die Worte Börnes zu Goethe, die ja immerhin den Großteil des Bandes ausmachen, sind in der Zusammenstellung amüsant zu lesen. Eine solide Edition nach den Erstdrucken: Für den über die Goethe-Rezeption Arbeitenden ist dies also ein nützliches Bändchen, erspart es doch das mühevolle eigene Zusammensuchen und Nachlesen. Und Börnes Kritik an Goethe ist durchaus berechtigt, kenntnisreich und noch dazu wortgewaltig: "Ich habe Göthe's und Schillers Briefe zu Ende gelesen; das hätte ich mir nicht zugetraut. Vielleicht nützt es meiner Gesundheit als Wasser-Kur. Mich für meine beharrliche Diät zu belohnen will ich mir die hochpreißlichen Rezensionen zu verschaffen suchen, die über diesen Briefwechsel gewiß erschienen seyn werden. Ich freue mich sehr darauf. Was werden sie über das Buch nicht alles gefaßelt, was nicht alles darin gefunden haben!"

Einen etwas fahlen Nachgeschmack hinterlässt das Fazit des Nachwortes. Anstatt die Kritik Börnes unharmonisiert stehen zu lassen und ernst zu nehmen, betont Rippmann zum Schluss ihrer Ausführungen die Verbundenheit Börnes mit Goethe. Qua Kritik offenbare sich Börnes Zugewandtheit zu Goethe, immer wieder tauchten "Signale seiner Hochschätzung" auf. Und so schließt sich der Kreis: Alle lieben Goethe, selbst seine schärfsten Kritiker.

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Christoph Weiß: Ludwig Börnes Goethe-Kritik.
Wehrhahn Verlag, Laatzen-Grasdorf 2005.
107 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3932324692

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