Europäische Obsessionen

Andrei S. Markovits untersucht den Antiamerikanismus

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf einer kirchlichen Trauung im letzten Sommer rekapitulierte der Pastor das Brevier des progressiven, linksliberalen, grünwählenden Deutschen: zitierte Erich Fromms "Vom Haben zum Sein" (ziehe die 'inneren Werte' dem 'weltlichen Tand' vor), Antoine de Saint-Exupérys "man sieht nur mit dem Herzen gut" (denke nicht so viel) und indianische Horoskope (denke gar nicht, ergib dich in dein menschengemachtes Schicksal). Denn er ist einer der fortschrittlichen seiner Zunft: vollzieht homosexuelle Trauungen, schenkte der Braut ein von nicaraguanischen Müttern geknoteten Kreuzumhänger und trägt einen Dritte Welt-Schal. Und in seiner Predigt fehlte auch nicht der Seitenhieb auf die 'amerikanische Oberflächlichkeit' der 'heilen Hollywood-Welt', die die Brautleute sich nicht anstelle des 'authentischen Lebens' zum Vorbild nehmen sollten. Leider hat die evangelische Kirche keinen Papst.

Der europäische Antiamerikanismus hat eine lange Geschichte, neu aber ist, so der Professor für Politikwissenschaft und Soziologie an der University of Michigan in Ann Arbor, Andrei S. Markovits, dass er Mainstream wurde. Dorthin gelangte er über das Bildungsbürgertum, hat inzwischen aber eine "einmalige Hegemonie im täglichen Diskurs von Eliten und Bürgern" inne. Auch wenn man von einer "außergewöhnlichen Meinungskonvergenz zwischen Eliten und Bevölkerung" sprechen kann, so gilt Antiamerikanismus nach wie vor als Ausweis von Protest, ja Widerstand. Nimmt man hinzu, dass in ihm sich außerdem Links und Rechts treffen, so sollte man sich wundern, gegen wen diese Widerständigkeit sich denn richten sollte.

Markovits belegt dies mit neun Pew-Studien über die Einstellung der Weltbevölkerung zu den USA, die zwischen August 2001 und März 2004 durchgeführt wurden, mit einer kurzen Historie des Antiamerikanismus und indem er den Diskurs europäischer Zeitungen und Zeitschriften zum Thema "Amerikanisierung" auswertet.

"Amerikanisierung" ist in Europa ein "völlig salonfähiges Schimpfwort" geworden. Die Rede von ihr ist ein europäisches Selbstgespräch, vor allem Frankreichs und Deutschlands, die sich selbst als "Musterknaben des Weltfriedens" wahrnehmen. Denn hier ist der Antiamerikanismus im Übrigen viel stärker als in den übrigen Kontinenten, bemerkenswerterweise auch als in islamischen Ländern, für deren 'berechtigte Empörung' und 'Verzweiflungsakte' (d. h. Massaker) man in Europa so sehr um Verständnis wirbt.

"Amerikanisierung" steht für alles, was der Kapitalismus nach seiner inneren Logik über die Menschen bringt, die nicht nur unter ihm leiden, sondern ihn auch mit Leib und Seele erhalten - und ihn deswegen aufteilen in einen guten Teil und in einen schlechten, den sie auf die USA projizieren. Der Antiamerikanismus ist die Ideologie derjenigen, die ihre Versehrung durch den Kapitalismus in Leidenschaft für seine autoritäre Alternative verwandeln, die ihn kritisieren, indem sie sich immer fester an ihn binden. Er entsteht "völlig unabhängig davon, was tatsächlich geschieht" und sagt "entschieden mehr über diejenigen, die ihm anhängen, als über das Objekt ihrer Wut."

Die USA befinden sich in einem Dilemma, das Markovits in dem Ausdruck "damned if you do, damned if you don't" zusammenfasst. Er weiß, dass man gegen solch ein Ressentiment "mit Empirie nicht viel ausrichten" kann; sympathischerweise versucht er es trotzdem. Wenn Markovits, obwohl er weiß, dass der Antiamerikanismus "zumeist keine konkreten Gründe oder Anlässe benötigt, um auf der Bildfläche zu erscheinen", dennoch von "verständlicher Empörung" spricht, dann weil auch er George W. Bush hasst. Dieser mag es dem Antiamerikanismus leicht machen - aber das Ressentiment, Markovits selbst weist es immer wieder nach, kennt keine Barrieren der Vernunft. Er begibt sich in diesen Widerspruch zu seiner besseren Einsicht, weil er das ist, wovon deutsche Amerika-Kritiker tatsächlich schon sagten, dass es dies in den USA offensichtlich nicht gebe: ein linker, kritischer Intellektueller.

Der Antiamerikanismus ist von solch beeindruckender Monotonie und Gleichförmigkeit, dass man seine ca. zweihundertjährige Geschichte in wenigen Sätzen zusammenfassen kann. Es ist immer dasselbe. Hat man einen Abriss gelesen, hat man alle gelesen. Dadurch ergibt sich nicht nur im historischen Teil von Markovits' Studie das Problem ständiger Wiederholungen. Die systematische Ausführlichkeit und Vollständigkeit gerät zur Redundanz, das letzte Kapitel ist fast unleserlich, nicht zuletzt wegen des Co-Autors Lars Rensmann, der auch an anderer Stelle durch die Häufung von Wiederholungen und begrifflichen Hülsen und durch eine von sozialphilosophischem Modevokabular überbordene Sprache auffiel. Markovits, der passend dazu die Shoah als "Kulminationspunkt eines europäischen Prozesses" bezeichnet, drückt sich auch um die Konsequenzen der Analyse, die auf der Hand liegen: Wenn man in old Europe "Amerikanisierung" statt "Kapitalismus" sagt - wovon lenkt man dann warum ab?

Aber dies war ja auch nicht sein Erkenntnisinteresse. Ob man freilich den Antiamerikanismus - und vor allem den Antisemitismus, zu dem Markovits "Überlappung" feststellt - auf seinen Begriff bringt, wenn man hiervon schweigt, ob man dann nicht einfach nur diskursive Ereignisse vor sich liegen hat, die man konstatieren, aber nicht erklären kann, dies sollte man sich allerdings fragen.

Titelbild

Andrei S. Markovits: Amerika, dich haßt sichs besser. Antiamerikanismus und Antisemitismus in Westeuropa.
Konkret Literaturverlag, Hamburg 2004.
238 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3930786451

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