Medienwissenschaft - Medientheorie - Medienphilosophie

Ein Blick in drei Neuerscheinungen

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Medien. Sich über die Evidenz ihrer Allgegenwärtigkeit zu wundern, wäre wohl so uninteressant, wie es unmöglich ist, nicht über sie zu sprechen. Seit Foto, Radio, Kino und TV das Denken über die durch sie scheinbar gefährdete, traditionelle Kulturtechnik (allen voran die Schrift in ihrer Haupterscheinungsform als Buch) anstießen, sind Medien unhintergehbarer Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung geworden. Dabei waren Medien im 20. Jahrhundert immer Projektionsflächen für Kulturoptimisten und -pessimisten gleichermaßen. Seit dem Erkalten beider Ideologien, der sozialutopischen und der kulturindustriellen, haben sich Medien in den Wissenschaften eingerichtet, gleichwohl in einem breit gefächerten Spektrum an Fachbereichen und einem noch breiteren an Ansätzen. Nach dem Sturm die Ruhe - und nach dem 'Run' auf die Medien also der Überblick. Exemplarisch für das Bedürfnis nach Sichtweite können drei jüngste deutschsprachige Publikationen stehen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln, in verschiedener Form und mit divergierendem Anspruch Klarheit in die Medienreflexion bringen wollen.

Eine didaktisch wohl konzipierte Einführung legt Werner Faulstich, seines Zeichens Professor für Medien und Öffentlichkeitsarbeit am Institut für Angewandte Medienforschung der Universität Lüneburg, mit seinem Lehrbuch "Medienwissenschaft" vor. Wie schon in ähnlichen Lehrbüchern (vor allem in "Grundwissen Medien" von 1994) wird der historischen Entwicklung von Medien ebenso Rechnung getragen wie den ästhetischen, ökonomischen, politischen und sozialen Implikationen. Im Vordergrund steht die Vermittlung von theoretischer Medienkompetenz, d. h. also vor allem von Faktenwissen. In Lehreinheiten gegliedert wird dieses am Ende eines jeden Abschnitts in Form von Wiederholungsfragen geprüft. Ist der Typus Frage (ein Standard der Reihe UTB basics) eher für Menschen gedacht, für die das Buch nicht mehr den Einstieg in die Medienwelt bildet, so ist es zutreffend, wie der Verfasser in seinem Vorwort hofft, dass durchaus eine unerwartete Vertiefung von bereits Bekanntem stattfindet. Empirische Breite und Kompressionsgrad gehen hier Hand in Hand. Wie sich am Medienbegriff von Faulstich ablesen lässt, so wird seine Herangehensweise von der geschichtlichen Entwicklung der Medien definiert. (Sein auf sechs Bände angelegtes Mammutwerk "Geschichte der Medien" im Verlag Vandenhoeck und Ruprecht gibt hiervon ein eindrückliches Zeugnis.) So gliedern sich für ihn Medien in vier Hauptgruppen: Menschenmedien, Druckmedien, (analoge) elektronische Medien und digitale Medien. Alle diese Gruppen sind für Faulstich Medien, da sie jeweils "ein institutionalisiertes System, um einen organisierten Kommunikationskanal von spezifischem Leistungsvermögen mit gesellschaftlicher Dominanz" bilden. Tatsächlich ist diese erste und fundierende Definition des Lehrbuches redundant bzw. keine Definition, die etwas erklärt, sondern eine Kurzfassung derjenigen Felder, auf denen Faulstich Kompetenz vom Medienwissenschaftler erwartet. Angesichts des reichhaltigen Informationsangebots und der Zielgruppe ist diese Begriffsextension jedoch entschuldbar.

Ganz anders gelagert ist die Einführung "Medientheorien" von Alice Lagaay und David Lauer, deren Beiträge aus einer Forschergruppe am Philosophischen Institut der Freien Universität Berlin hervorgegangen sind und sich durch den hohen Überarbeitungsgrad der kollektiven Arbeit auszeichnen. Im Untertitel versteckt findet sich die nähere Spezifikation der "philosophischen Einführung", was in diesem Fall zunächst heißt: personenbezogen. Das Buch versammelt insgesamt elf Porträts von Medienwissenschaftlern, die einen originären Medienbegriff oder ein Paradigma der Medienwissenschaften gestiftet haben sollen. Der Schnitt wird dabei in den 1960er Jahren gemacht. Walter Benjamin, Harold Innis oder Günther Anders fehlen daher. Der Paulus der Medienwissenschaft ist natürlich McLuhan, der zugleich die Legitimation des Einsatzpunktes abgibt: Ist das Medium selbst Botschaft, so ist McLuhan Medientheorie oder vielmehr: Medientheorie ist McLuhan. Ihm nachgeordnet werden de Kerkhove, Luhmann, Baudrillard, Virilio, Flusser und Kittler, deren Betrachtungen allesamt als Konsequenzen des selbstreferenziellen Medienbegriffs gelten können, natürlich in höchst unterschiedlicher Ausführung. Diese Linie der international zum Standard gewordenen Medienreflexion zeichnet sich durch eine erklärt antiphilosophische Herangehensweise aus und steht von daher mit dem Anspruch des Bandes im leichten Widerspruch. So gesehen findet sich im vorliegenden Einführungsband ein zweiter Einsatzpunkt, der mit den Werkporträts von drei lokalen Theoretikern gemacht wird, die Philosophie als Medienwissenschaft fortsetzen und ihr einmal die Prägung als historische Dialektik (Winkler), ein anderes Mal als existenzialistische Phänomenologie (Seel) und zuletzt als amerikanischen Pragmatismus (Sandbothe) geben. Mit Lev Manovich kommt abschließend der einzige neuere Ansatz zur Sprache, der sich mit digitalen Medien direkt in ihren ästhetischen Erscheinungsformen befasst. Mag es auf den ersten Blick eine Schwäche des Bandes sein, Medienreflexion an Personen und Theorie an Philosophien zu binden, so kann hierin gerade eine subversive Leistung gesehen werden, die in beide Richtungen ausstrahlt: Eine Theorie der Medien ist philosophisch, und philosophische Reflexion muss Medien berücksichtigen. Dennoch fehlt am Tisch eine zwölfte Position, welche die schlechthin philosophische Frage stellt, nach dem, was etwas ist.

Genau an diesem Punkt setzt ein Aufsatz ein, den der Medienwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Bildtheorie an der Universität Jena, Lambert Wiesing, im Rahmen seiner Aufsatzsammlung "Artifizielle Präsenz" veröffentlicht hat und die Frage stellt: "Was sind Medien?" Angesichts extensivierter Medienbegriffe (wie für Faulstich) und zahlreicher Theorien (wie die von Lagaay/Lauer vorgestellten), in deren Zugriff alles Erdenkliche zum Medium wird, kann hierin das Nadelöhr der Medienreflexion gesehen werden: Sind Licht oder Wasser Medien, wie es die Kulturwissenschaft und Kirche gleichermaßen behaupten würden? Sind Pferde und Geld Medien, als welche sie Kommunikationshistoriker und Systemtheorie ausgeben? Nein, sagt Wiesing, und führt ein spektakuläres und geradezu gnadenlos einfaches Kriterium an: Medien sind für ihn nur solche, die von den Gesetzen der physikalischen Welt befreien, eben artifizielle Präsenz ermöglichen; die das, was sie vermitteln, dem Alterungsprozess entziehen. Das philosophische Kriterium dazu lautet: Etwas ist ein Medium, wenn es die Differenz von Genese und Geltung erlaubt, d. h. sich das, was dem Verfallsprozess der Zeit - und damit der Veränderung - enthoben ist, von dem unterscheiden lässt, das es transportiert und veränderlich ist. Die Fotografie und die Leinwand vom Bild, das Buch von seiner Erzählung oder die rotierende Scheibe vom Song. Medien vergehen, nicht aber ihre Botschaften, insofern sie problemlos von anderen Medien (gleichen Typs) weitergetragen werden können oder schon in verschiedenen Speicherformen vorliegen. Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass diese Definition zu einfach ist: Transportieren nicht auch Pferde etwas, und kann man nicht gerade am Geld Genese und Geltung, Träger und Wert unterscheiden? Natürlich, aber: Sie alle transportieren nur Innerzeitliches und Veränderliches. Dagegen sind Medien "Werkzeuge, die ermöglichen, dass zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten von verschiedenen Menschen nicht nur das gleiche, sondern auch dasselbe gesehen, gehört und gedacht werden kann". Erst Medien, so kann Wiesing ganz ohne ontologische Aufgeregtheit sagen, befreien den Menschen aus den physikalischen Zwängen der Welt und ermöglichen ihm das, was ihn ausmacht: Kultur.

Titelbild

Alice Lagaay / David Lauer (Hg.): Medientheorien. Eine philosophische Einführung.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
323 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3593375176

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Werner Faulstich: Medienwissenschaft basics.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2004.
248 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-10: 3825224945

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Titelbild

Lambert Wiesing: Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
164 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3518293370

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