Schiller wollte "Zeitgenosse aller Zeiten" sein

Ein Lesebuch zeigt den Dichter in seiner Vielseitigkeit

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer den Dichter Friedrich Schiller kennen lernen oder ihm wieder begegnen möchte, aber die Anschaffung einer Werkausgabe scheut, ist mit dem von Norbert Oellers herausgegebenen Querschnitt durch Schillers Dichtungen, Schriften und Briefe bestens bedient. Denn die geschickte Auswahl der Texte, vorgenommen von einem exzellenten Schiller-Kenner, macht deutlich wie vielseitig der Dichter war und demonstriert, dass es sich auch im dritten Jahrhundert nach seinem Tod noch lohnt, ihn zu lesen, über ihn zu diskutieren, vielleicht sogar zu streiten und zu prüfen, ob Schillers Wunsch, "Zeitgenosse aller Zeiten" zu sein, heute noch oder heute erst recht in Erfüllung geht.

Titel und Motto dieses Buches, "Daß der Mensch zum Menschen werde", wurde dem 1798 entstandenen "Bürgerlied" entnommen und bezeichnet ein Thema, mit dem sich Schiller zeit seines Lebens beschäftigt hat, sowohl in seinen Gedichten, in seiner akademischen Antrittsrede "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" als auch in seinen Briefen "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" sowie in vielen anderen Werken.

Als Lyriker wurde und wird Schiller von der Mit- und Nachwelt geschätzt, weniger allerdings von Generationen ehemaliger Schulkinder, die seine Gedichte oft unter Zwang auswendig lernen mussten, sodass ihnen der Dichter nicht selten für ihr ganzes Leben vergällt wurde. Nicht alle seine Gedichte sind ersten Ranges, das wusste Schiller selbst nur allzu gut. Selbst seine "Ode an die Freude" hat er später hart kritisiert. Gleichwohl hat er mit nicht wenigen Gedichten die deutsche Literatur wesentlich und dauerhaft bereichert. So finden wir auch in diesem Band von ihnen eine reichhaltige Auswahl.

Seine eigentliche Domäne war jedoch das Drama. Schon mit seinem ersten Theaterstück "Die Räuber" entfachte er Beifallsstürme. In seinen Dramen hat der Dichter immer wieder gezeigt, wie verloren der Einzelne ist, wenn er nicht mehr ist als ein Spielball der Herrschenden oder selbst nichts mehr begehrt als die Herrschaft über andere. Auch in den Dramen wird die Frage nach der Menschwerdung immer wieder gestellt, hebt der Herausgeber hervor und lässt den Dichter mit den großen Monologen aus seinen Dramen von den "Räubern", über "Fiesco" und "Wallenstein" bis hin zum Fragment gebliebenen "Demetrius" zu Wort kommen. Aber nicht nur das: Er versieht die Monologe mit kurzen Einleitungstexten, sodass von diesen Schlüsselstellen aus ein Schlaglicht auf die gesamte Handlung fällt.

Ab 1789 ließ Schiller die Dichtkunst eine Weile ruhen und beschäftigte sich mit Geschichte und später auch mit Philosophie. Aus dieser Zeit bietet der Band ebenfalls aufschlussreiche Kostproben: Erzählende, historische und theoretische Schriften.

In den hier abgedruckten Briefen, die vor allem an seine Frau und seine Freunde gerichtet sind, zeigt sich der Dichter als ein mitteilsamer, gesprächs- und freundschaftsbereiter Mensch, der offensichtlich ebenso gern sprach wie er schrieb. Oellers sieht in ihnen "Dokumente eines bemerkenswerten Lebens." In seinem letzten Brief an Wilhelm von Humboldt vom 2. April 1805 definiert Schiller den eigenen Idealismus. "Am Ende sind wir ja beide Idealisten und würden uns schämen, uns nachsagen zu lassen, dass die Dinge uns formten und nicht wir die Dinge", und einige Zeilen später bekennt er: "die tiefen Grundideen der Idealphilosophie bleiben ein ewiger Schatz und schon allein um ihretwillen muss man sich glücklich preisen in dieser Zeit gelebt zu haben."

Der Band schließt mit einem Anhang, der dem Leser Goethes Epilog zu Schillers "Glocke" präsentiert und ihn mit Goethes tiefsinniger Betrachtung: "Im ernsten Beinhaus war's wo ich beschaute" entlässt.

Titelbild

Friedrich Schiller: "Dass der Mensch zum Menschen werde". Dichtungen, Schriften, Briefe.
Herausgegeben von Norbert Oellers.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
366 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3458172416

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