Kampf gegen literarische Gartenzwerge

Arno Schmidts Breitseiten in Form einer "Wundertüte" und sein Roman "KAFF auch Mare Crisium" in Neuausgaben

Von Stephan LandshuterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Landshuter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Arno Schmidt erst einmal gegen Biografen in Fahrt geriet, die aus seiner Sicht schludrig gearbeitet hatten, gab es kein Halten mehr. Auch gegenüber angeblich schwachen Übersetzern oder minderbegabten Autoren kannte er keine Gnade. Der ganze Zorn musste ventiliert werden und zwar in einer Form, die die Objekte seiner Wut an Eleganz und Eloquenz weit übersteigen sollte. So verfasste Schmidt Ende der 40er Jahre eine Sammlung fiktiver Briefe an eben diejenigen Personen, die in seinen Augen im intellektuellen Bereich schlimm gefehlt hatten, und sammelte diese in einem Manuskript, das er "Arno Schmidts Wundertüte" betitelte. Zwar gibt es auch wohlmeinende Briefe darin, aber diese sind weit weniger unterhaltsam als die Hassdepeschen.

Ein gewisser Herr Ziesemer mag uns heute nicht mehr bekannt sein, doch tut das nichts zur Sache, wenn man diesen Literaturprofessor, der kurz nach 1900 wirkte, als Modell für sämtliche Biografen sieht, die sich wenig Mühe geben, ihren Gegenstand - eben das Leben einer berühmten Person - zu ergründen, ja die sogar fortwährend ungeprüft falsche Daten in Umlauf bringen. Dieser Literaturwissenschaftler hatte nun ausgerechnet den von Schmidt so verehrten Friedrich de la Motte Fouqué auserkoren, um sich mit einer Biografie wissenschaftliche Lorbeeren zu verdienen. Schmidt weist diesem Ziesemer eine solche Vielzahl von Fehlern und Ungenauigkeiten nach, dass der Schluss nahe liegt, in Ziesemer einen üblen Dilettanten am Werk zu haben. Zudem zeigt Schmidt en passant, mit welcher Gründlichkeit und Forscherlust man als Biograf an ein fremdes Leben herangehen muss, wenn denn wirklich eine lebendige Lebensdarstellung herauskommen soll. Mit berechtigtem Stolz werden die eigenen, beachtlichen Forschungsergebnisse in Sachen Fouqué präsentiert. Alle diejenigen, die erwägen, sich einmal an die herkulische Aufgabe einer Biografie heranzuwagen, sollten zuerst einmal Schmidts bitterbösen Brief an Ziesemer konsultieren und erst danach entscheiden, ob sie sich der Aufgabe noch gewachsen fühlen.

Herrlich ist auch der Brief an einen uninspirierten Übersetzer namens Neumann, der in seiner Übertragung Edgar Allan Poes "Der Untergang des Hauses Usher" sprachlich arg verhunzte und teilweise nicht nur falsch übersetzte, sondern manchmal sogar ganze Sätze einfach wegließ. Ein kurzer Auszug soll das Sprachgewitter verdeutlichen, das über arme Gestalten wie diesen Übersetzer hereinbricht: "Eine Übersetzung der Bücher dieses Trismegistos in unsere Sprache ist vielleicht das kühnste aller Wagnisse, welches die Musen einem höchstbegünstigten, an Herz und Geist ebenbürtigen, poe-tischen [sic!] Liebling einhauchen, oder die rächenden Erinnyen irgend einem unglücklichen literarischen Gartenzwerg im nächtlichen Alptraum zukekkern können." Da Schmidt dieser seitenlangen Schimpfrede, in der er minutiös Herrn Neumanns Verflachungen auflistet, eine eigene, wirklich ausgezeichnete Übersetzung dieser faszinierenden Novelle beilegt, darf man annehmen, dass er sich selbst offenbar ohne falsche Bescheidenheit als vom Schicksal "höchstbegünstigt" ansah. Auch heute gibt es bisweilen Übersetzer, die sich wie der hier zurecht Abgekanzelte offenbar nicht allzu viele Gedanken machen, ob ihre Übertragung dem Original wirklich gleichkommt; diesen sei die Lektüre dieses Briefes empfohlen zur Einsicht und - wo möglich - Besserung.

Auch vor großen Namen macht Schmidt nicht Halt: Goethe schreibt er zwar nicht persönlich an, er thematisiert ihn aber ausführlich in den Briefen an seinen Schwager. Die Romane des Weimarer Dichterfürsten haben es Schmidt besonders angetan: "Bei Goethe ist der Roman keine Kunstform, sondern eine Rumpelkiste: gewaltsam aneinander gepappte divergente Handlungsfragmente, hineingestreute übel an den Hauptfaden geknüpfte Novellen, Aphorismen, einander widersprechende Erziehungsmaximen, allgemeine Waidsprüchlein ..." Schmidt zerfieselt genüsslich vor allem die beiden "Wilhelm Meister"-Romane und die "Wahlverwandtschaften" (der "Werther" findet Gnade vor seinem unerbittlichen Gericht), bis wenig von ihnen übrig bleibt.

Der vielleicht kürzeste Verriss aller Zeiten sei auch noch erwähnt; er ist dem überaus christlichen Klopstock gewidmet, dem der erklärte Atheist Schmidt keine Sympathie entgegenzubringen vermag; der Brief an ihn lautet schlicht: "Sehr geehrter Herr! Anbei den Messias zurück." Dieses Riesenepos scheint Schmidt so sehr verachtet zu haben, dass es ihm noch nicht einmal eine ausführlichere Erregung wert war.

Diese "Wundertüte", in die auch die frühe Erzählung "Die Fremden" Eingang fand und die 1949 nach dem "Leviathan" eigentlich Schmidts zweites Buch hätte werden sollen, verschwand nach einigem Hin und Her zwischen Autor und Verlag wieder in der Schublade und wurde erst 1989 postum ediert. Hoffentlich finden diese wunderbaren fiktiven Briefe in der Neuausgabe als Suhrkamp-Taschenbuch eine weitere Verbreitung, und vielleicht findet diese Kunstform auch einmal einen Nachahmer, denn Kleingeister gäbe es auch in unserer Zeit genug. Nur sollte dieser Nachfolger schon ein "Höchstbegünstigter" sein, und kein "literarischer Gartenzwerg".

Ebenso erfreulich ist die Neuerscheinung des exzellenten Romans "KAFF auch Mare Crisium" (1960), ebenfalls bei Suhrkamp. "KAFF" spielt auf zwei Zeitebenen, Ende der 50er Jahre in der Lüneburger Heide und 1980 auf dem Mond. Die zweite, aus damaliger Perspektive futuristische Zeitebene kommt in der portioniert eingebauten Binnengeschichte zum Tragen, die der spleenige Karl Richter seiner etwas spröden Freundin Hertha erzählt: Einige tausend Amerikaner und Russen haben sich auf den Mond geflüchtet, die Erde ist nach einem atomaren Krieg völlig zerstört. Diese letzten Menschen hauen sich auf dem Erdtrabanten bizarrerweise zwei Heldenepen um die Ohren - eine amerikanische Neufassung des "Nibelungenlieds" und eine russische Umdichtung von Herders "Cid" - Arno Schmidts Humor ist durchaus grotesk zu nennen und nicht jedermann konnte Anfang der 60er Jahre im Angesicht des Kalten Krieges über solche Phantasien lachen. Heute fällt uns das Lachen leichter, aber nur, weil wir mittlerweile verdrängt haben, dass sich auf unserem Erdball weiterhin gewaltige Arsenale zur Weltauslöschung gegenseitig anstarren und einige Länder munter neue Atomwaffen produzieren. Vielleicht sollte uns das Lachen besser immer noch im Halse stecken bleiben angesichts dieser Schmidt'schen Szenarien.

Das eigentliche Ereignis dieses Romans ist aber wohl weniger die Handlung als vielmehr seine unerhörte Sprache. Um den Duden kümmerte sich Schmidt schon in den 50er Jahren nicht, sondern erfand sich eine eigene Orthografie und Interpunktion, die manche noch immer abschreckt, obwohl man sich rasch eingelesen hat und diese Eigenheiten für den geübten Leser keine größeren Hindernisse darstellen. Wendungen wie "maulhängkolisch" für "melancholisch", "gleich sex & firz ich" für "gleich 46" oder "Auf sämtlichen Gesichtern kemmftn Ap=Scheu & I gewisse, unmenschliche Bejahunk" mögen einen Einblick geben. Ein solcher Umgang mit Sprache war natürlich nie bestsellertauglich und ist wohl nach wie vor der Hauptgrund dafür, dass Schmidt bis jetzt eher Autor für eine Fangemeinde geblieben ist und keine rechte Breitenwirkung zu erzielen vermochte. Vielleicht ändert sich dies ja mit den Neuausgaben in ehrwürdigem Hause.

Titelbild

Bernd Rauschenbach (Hg.): Arno Schmidts Wundertüte. Eine Sammlung fiktiver Briefe.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
236 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3518455591

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Titelbild

Arno Schmidt: KAFF auch Mare Crisium.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
314 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3518416502

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