Europäerin und Weltbürgerin

Armin Strohmeyrs Biografie der Schriftstellerin Annette Kolb

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Armin Strohmeyer zeichnet das Leben einer außergewöhnlichen Zeitgenossin des 20. Jahrhunderts nach. Im Mittelpunkt stehen dabei die politischen Überzeugungen und Aktivitäten der Demokratin Annette Kolb. Die Autorin und Publizistin war Zeit ihres Lebens an Politik nicht nur stark interessiert, sondern auch aktiv beteiligt. Während ihrer 97 Lebensjahre machte sie Erfahrungen mit mehreren politischen Systemen: Aufgewachsen in der wilhelminischen Ära, durchlebte und durchlitt die in München Beheimatete zwei Weltkriege, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, Exiljahre, Hungerjahre, die Adenauer-Zeit und schließlich die ersten zaghaften Versuche einer Wiederannäherung zwischen Deutschland und Frankreich und später zwischen Deutschland und Israel.

Doch zurück ins München der Wittelsbacher. Die Eltern - der Vater vermutlich ein unehelicher Sprößling des späteren Max II. von Bayern, die Mutter eine musisch begabte Französin - halten in München ein offenes Haus, auch wenn es finanzielle Engpässe gibt. In diesem von zwei Kulturen getragenen Umfeld wächst das 1870 geborene Mädchen frei auf, ist früh literaturbegeistert, verbringt prägende Jahre in einer Klosterschule und findet Halt in den Schriften Wagners. Durch den Salon der Mutter findet sie schnell Kontakt zu Künstlern, Schriftstellern, Politikern und anderen Intellektuellen, was sie dazu anregt, selbst zu schreiben. Sie verfasst erste Aufsätze und Essays und beginnt damit, ihre privaten Kontakte für ihre politischen Ideen und Visionen zu nutzen, was sie ihr Leben lang beibehält. Grundlage ihrer Ethik bilden das katholische Christentum, eine pazifistische Überzeugung und ihre Vision einer demokratischen Gesellschaft innerhalb eines starken Europa. Den Europa-Gedanken vertritt sie ebenso wie die Völkerverständigung zwischen den verfeindeten Nationen Frankreich und Deutschland, denn sie sieht gerade ihre eigene private Stellung als prädestiniert dafür, hier zu vermitteln.

Von Kritik oder anderen Hindernissen lässt sich die resolut auftretende Frau nicht abschrecken. Viele sind von ihrer aristokratischen Erscheinung und ihrer Zivilcourage beeindruckt. Auch ihre Essays, die sich mit politischen Themen, religiösen Fragen und kulturellen Phänomenen beschäftigen, gewinnen viele Leser. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört Annette Kolb mit ihren Romanen und Schriften zu den meistgelesenen Autoren Deutschlands - was sich 1933 schlagartig ändert. Das Exil führt sie bis in die USA, erst 1961 kehrt sie wieder nach Deutschland zurück und wird nun mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft. Auch im hohen Alter tritt Annette Kolb für ihre politischen Überzeugungen ein, so reist die über 90-Jährige nach Israel, um den neuen Staat kennen zu lernen.

Die Biografie zeichnet anhand zahlreicher Fakten dieses interessante und bisher in der Literaturgeschichte etwas zu kurz gekommene, faszinierende Leben nach. Allerdings werden die schriftstellerischen Leistungen eher gestreift denn intensiver beschrieben, sie finden vor allem in Verbindung mit autobiografischen Aspekten Erwähnung, was der Darstellung der Autorin nachträglich ist. Auch Freundschaften kommen nur in Ansätzen vor, beispielsweise die Freundschaft zu René Schickele oder die zu Thomas Mann, zu Franz Blei, Mechtilde Fürstin von Lichnowsky oder Bertha Zuckerkandl. Wenn man allerdings bedenkt, dass Annette Kolb Briefe mit knapp 300 Menschen wechselte, ist es wahrlich schwierig, dieses Netz an Verbindungen adäquat in einer Biografie zu umreißen. Zudem zeigt sich, dass für die Schriftstellerin mit dem französischen Pass Schreiben, Politik und Leben so eng zusammengehören, dass sie viele Erlebnisse in ihre Werke einfügt. Was sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, ist das Faktum, dass Annette Kolb sich nicht berufen fühlte zur Schriftstellerei, sondern einen so genannten Brotberuf benötigte, um ihre Existenz zu sichern. Bis ins hohe Alter hinein war sie auf Veröffentlichungen angewiesen, schrieb Artikel und Musikrezensionen, verfasste Biografien und verhandelte hart mit ihrem Verleger, weil sie oft in Geldnot war. Nicht zuletzt die Jahre des Exils - 1916 bis 1922 in der Schweiz, 1933 bis 1941 in der Schweiz, Luxemburg, Frankreich, Irland, 1941 bis 1945 in den USA - schnitten sie immer wieder von Verdienstmöglichkeiten ab.

Dieses Wanderleben zwischen den Zeiten und den Kulturen zeichnet das Werk Annette Kolbs aus, die erst in späten Jahren zu Preisen und Auszeichnungen kam, als man sich ihrer nach 1945 als Demokratin und Pazifistin erinnerte und sich, nicht zuletzt in ihrer geliebten Heimatstadt München, mit der grande dame der Literatur schmückte. Auch hier nutzt sie wieder die Auftritte, um für ihre politischen Ziele zu werben und Kritik vorzutragen.

Zum Schluss bleibt ihr nur noch die Musik, Schreiben und Lesen sind nicht mehr möglich. Mozart, über den sie eine Biografie veröffentlichte, ist ihr Begleiter, seine Stücke spielt sie bis zuletzt auf dem Klavier. Sie stirbt am 3. Dezember 1967.

Die vorliegende Biografie skizziert das Leben dieser umtriebigen Publizistin, klammert dabei tiefergehende Darstellungen und viele Details aus, um überhaupt das gesamte Leben fassen zu können. Und da nicht viele Biografien über Annette Kolb existieren - zu erwähnen ist noch die Darstellung von Charlotte Marlo Werner - erfährt man trotz der Interpretationslücken so viel an Fakten, dass sich daraus ein rundes Bild mit politischem Schwerpunkt ergeben kann. Dazu tragen auch der Teil mit Anmerkungen, Bibliografie, Zeittafel und Personenregister sowie die 25 Schwarz-Weiß-Abbildungen bei.

Titelbild

Armin Strohmeyr: Annette Kolb. Dichterin zwischen den Völkern.
dtv Verlag, München 2002.
333 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3423308680

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