Die Begriffe der Phänomenologen

Helmuth Vetter und sein Team erschließen das konzeptuelle Universum der neueren Philosophie

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach fast zehnjähriger Vorbereitungszeit haben der Heidegger-Experte Helmuth Vetter aus Wien und seine Mitarbeiter das Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe im Verlag Meiner vorgelegt. 66 weitere Autoren haben an dem handlichen Nachschlagewerk mitgearbeitet, das vor allem eines belegt: die weite Verbreitung der Phänomenologie, weit über ein Jahrhundert nach Ihrer Inauguration durch die Schulbildungen Husserls. Doch ist der Band damit keineswegs auf Rückblick angelegt: So wird man Einträge zu Autoren oder klassischen Texten der Phänomenologie vergeblich suchen. Hierfür kann man auf den "Spiegelberg", den "Volpi" oder die "Encyclopedia of Phenomenology" zurückgreifen. Das vorliegende Hardcover ist ein reines Nachschlagewerk für Begriffe. Zugleich werden diese nicht historisch behandelt wie etwa im philosophischen Wörterbuch von Ritter und Gründer - genau dies war die größte Hürde, die es in der Planung zu nehmen galt. Wie der Herausgeber, der die Mehrzahl der Artikel selbst verfasst hat, betont, seien Lücken daher zu erwarten oder bestätigten eben nur, was die phänomenologische Bewegung auszeichnet: Diversität.

Im Mittelpunkt des Nachschlagewerkes stehen die Begriffe der "orthodoxen" Phänomenologie Husserls und der 'Häretiker', Max Scheler und Martin Heidegger, sowie der französischen Phänomenologie mit Jean-Paul Sartre, Maurice Merleau-Ponty, Emmanuel Lévinas und dem soeben verstorbenen Paul Ricœur. Auch Michel Foucault - für manche vielleicht überraschend - wird mit Begriffen wie "Anders denken", "Archäologie", "Askese" u. a. berücksichtigt. Zu Recht: Befand er sich doch mit der Phänomenologie in einem innigen Verhältnis der Absetzung. Ferner wurde darauf geachtet, auch traditionelle Begriffe der Philosophie aufzunehmen, die in der Phänomenologie neu akzentuiert wurden. Damit bildet der Band auch wichtige Transformationen der Philosophie im 20. Jahrhundert ab. Die Lehren der Generation vor Husserl oder der ersten Schüler und Begleiter dagegen werden weitestgehend vernachlässigt.

Die Auswahl war dabei vor das (philosophische) Problem gestellt, was ein Begriff ist, wo er nicht mehr Proposition aber auch noch nicht Metapher ist. Besonders bei Heidegger, für den die richtige Wortwahl eine Vorbedingung des seinsgemäßen Philosophierens darstellt, kann die Begriffsmenge schnell unüberschaubar werden. Diese Aufgabe hat Vetter vorzüglich und eine gute Hand bewiesen, was vor allem die Abwägung des Heidegger'schen Repertoires anbelangt. Etwas unglücklich ergibt sich dabei jedoch an mancher Stelle die Situation, dass einige Begriffe allzu schnell nur von Heidegger her definiert werden, obwohl sie bereits für Husserl eine gewichtige Rolle spielten. Exemplarisch hierfür kann der Eintrag "Erde" stehen, der an Heideggers Konzeption des "Gestells" festgemacht wird und im Lichte ihrer Variation bei Patocka und der Kritik durch Lévinas behandelt wird. Abgesehen davon, dass "Erde" ein wichtiger Begriff auch bei Fink ist und für Merleau-Ponty eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, stellt er einen wesentlichen Fluchtpunkt der Gedanken des späteren Husserls dar - jedoch: An dieser Stelle kein Wort davon. (Erst über den Artikel 'Raum', der auf 'Welt' verweist, findet man entsprechende Hinweise.) Die Auswahlkriterien rechtfertigen dies nicht. Die Verschiebung von Husserl zu Heidegger, der sich selbst ja dezidiert von der Phänomenologie verabschiedet hatte, ist die Schwachstelle des Bandes, um die man wissen muss. Vermissen wird man aus gegebenem Grund ein Gesamtregister, welches auch Verweise hätte aufnehmen können - und zwar zu Begriffen, denen sich kein eigenständiger Artikel widmet.

Titelbild

Helmuth Vetter (Hg.): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe. Unter Mitarbeit von Klaus Ebner und Ulrike Kadi.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2005.
699 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3787316892

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