Traktatkitsch von der Westküste

David Gutersons Roman "Östlich der Berge"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Herzchirurg Ben Givens, Pensionär und seit kurzer Zeit verwitwet, hat einen Plan. Er hat Krebs und möchte weder sich noch seiner Tochter das Elend zumuten. Er hat vor, seine Hunde am Ende des Tages in der Salbeiwüste freizulassen.

Kühl plant er seinen Selbstmord. Dazu will der Arzt aus Seattle in die Gegend fahren, wo seine Familie eine Apfelfarm hatte, in das östliche Washington, jenseits der Berge. Doch dann kommt alles anders: Zuerst hat er einen Autounfall und verletzt sich leicht, der eine Hund stirbt, der andere wird schwer verletzt und muß vom alten Givens meilenweit in die nächste Stadt zu einer jungen Tierärztin getragen werden. Givens verliert seine alte Flinte und kümmert sich um einen mexikanischen Wanderarbeiter, und zum Schluß hilft er noch bei einer Geburt und rettet dabei Mutter und Kind.

Natürlich bleibt nicht aus, daß er durch die Ereignisse, durch die Gespräche mit Hippies, Arbeitern, der engagierten Tierärztin und einer Mitreisenden im Greyhound-Bus langsam wieder seinen Glauben an das Leben zurückgewinnt. Er hat erfahren, daß er noch einen Wert in der Gesellschaft hat, daß er noch immer helfen kann. Guterson erzählt diese halb religiöse Erweckungsgeschichte aus Bens Perspektive, unterbricht die Geschichte durch Bens Erinnerungen an die Jugendzeit, als er noch bei der Obsternte aushalf, als er seine Frau Rachel kennenlernte und in den Krieg nach Italien geschickt wurde.

Berühmt wurde Guterson durch seinen Debütroman "Schnee, der auf Zedern fällt", ein atmosphärisch sehr dichter Kriminal- und Sozialroman um Erdbeerfarmer und Japaner an der Küste Washingtons. Mit "Östlich der Berge" ist er wieder bei seinen Obstbauern, aber so richtig anschaulich wird keine der Personen, die Ben Givens auf dem Weg zu seinem Golgatha trifft. Sie alle bleiben schemenhafte Randfiguren, blasse, mehr aus dem Augenwinkel wahrgenommene Randerscheinungen. Eine irgendwie glaubhafte Psychologie, eine vielleicht auch nur vorsichtige Entwicklung ist nicht zu spüren. Nach all den Erlebnissen und Begegnungen mit all den Gutmenschen kommt Givens spontan zu der Erfahrung, daß "auf der Flinte ein Fluch liegt. Alle Gewehre sind verflucht, ich will nichts mehr damit zu tun haben".

Es gibt viel von solchem Traktatkitsch in Gutersons Buch, und auch seine religiöse Symbolik ist allzu dick aufgetragen. Östlich der Berge, inmitten der blühenden Landschaft von Bens Kindheit und Jugend, wo er seine Frau einst bei der Ernte kennenlernte, liegt für ihn das Land Eden voller Apfelbäume, ein Land, das er zu Fuß und in seinen Erinnerungen und Träumen noch einmal durchwandern muß, um zu einem neuen Leben zu kommen: "Es ist keine Belastung, überlegen Sie doch, was die anderen daraus lernen können", erklärt ihm eine Farmersfrau am Schluß zu seinem Krebsleiden. Sprachlich überschreitet Guterson sehr oft die Grenze zwischen gut gemacht und nur gut gemeint. In den USA lernt man im Kurs "kreatives Schreiben", daß der Anschein des Authentischen sehr wichtig ist: Fakten, Fakten, Fakten. Und so gerät auch Guterson in den Rausch der Aufzählungen. Aber statt authentisch zu wirken, ermüdet er den Leser sehr schnell durch seine Langatmigkeit. Seinen Ruf, ein sensibler Beschreiber von Natur, ein psychologisch versierter Autor zu sein, hat Guterson mit diesem zweiten Buch verspielt.

Titelbild

David Guterson: Östlich der Berge. Aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel.
Berlin Verlag, Berlin 1999.
322 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3827002931

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