Gottverdammte Großrhetorik

Martin Amis moralisiert in "Night Train"

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei Erscheinen seines letzten Romans "Information" (1996) hat sich die Fachwelt weniger für den Text interessiert als vielmehr für den Honorarvorschuß von angeblich 1,3 Millionen DM, den Martin Amis für das Buch erhalten haben soll - und den der 50jährige in eine Generalüberholung seiner Zähne investierte. Trotzdem scheint dem Rockstar der britischen Literaturszene seitdem der literarische Biß zu fehlen: Sein zehnter Roman "Night Train" ist eine mißratene Parodie-Hommage auf den amerikanischen Krimi à la Raymond Chandler, ein sentimentaler Verschnitt fernseh-generierter Klischees über Frauen und Polizisten in einem großstädtischen Moloch der USA.

Die junge Astrophysikerin Jennifer Rockwell nimmt sich das Leben. Doch weil sie die Tochter eines hochrangigen Polizeibeamten ist, darf es kein Selbstmord sein. Die erfahrene Polizistin Mike Hoolihan wird mit dem Fall beauftragt, und als sich der Selbstmord nicht mehr leugnen läßt, macht sie sich auf die Suche nach den Gründen; und der Autor beginnt, seine Frauenzimmergesprächsspiele mit Metaphysik zu übertünchen.

Amis ist oft dafür gerühmt worden, noch den dünnsten Geschichten mit ironischen Brüchen und satirischer Überzeichnung Bedeutung abzugewinnen. In "Night Train" beutet er den Kontrast zwischen Mike, dem desillusionierten, kettenrauchenden Mannweib mit Säuferleber, und der wunderschönen, super-intelligenten, immer lebensfrohen, aber tiefsinnigen Jennifer humorlos aus. Er moralisiert. Denn alle Hinweise auf eine logische Erklärung der Tat führen ins Nichts - ins Nichts des Nachthimmels, der schwarzen Löcher und zerfallenden Sterne. Dieses stumme Universum hat Jennifer in die Verzweiflung getrieben. Also: Das Sein besiegt den Schein. Oder: Mitten im Leben droht uns der Tod.

Symbol für diesen banalen Weltschmerz ist der Nachtzug, der im Vorbeifahren die Wände von Mikes Wohnung erzittern läßt: "Der Suizid ist der Nachtzug, der dich in die Dunkelheit reißt. Sonst kommt man nicht mit solcher Geschwindigkeit dorthin, nicht auf natürlichem Wege. [...] Das Ticket kostet alles, was du hast. Aber es ist nur einfach. Dieser Zug bringt dich in die Nacht und läßt dich dort. Der Nachtzug." Auch das ist neu an Amis' Poetik: In seinen letzten Romanen hat er die Leser auf Distanz zu den Figuren gehalten. In "Night Train" legt er den Lesern den Nihilismus ans Herz: Sie sollen mitleiden.

Unerträglich ist auch die Stimme der Ich-Erzählerin Mike. Dem Vater überbringt sie die Nachricht vom Tod seiner Tochter mit den kitschigen Worten: "Colonel Tom, ich liebe Sie, Sie wissen es, ich würde Sie nie anlügen. Aber es scheint, daß Ihre kleine Tochter sich das Leben genommen hat. Ja, hat sie. Hat sie." Der Autor lädt der rauhbeinigen Mike philosophische Tiefgründigkeiten auf, die laut Figurenkonzeption ihren Horizont eigentlich übersteigen müßten. Ab und zu läßt er sie auch über lateinische Sinnsprüche meditieren und in einen trivialisierten Bibeljargon verfallen. Und erst ihre Arbeitsberichte: "Gottverdammte Großrhetorik, Cicero gegen Robespierre!"

Sonst reden die "Detectives" in einem autistisch anmutenden Polizeislang, der schon im Englischen unglaubwürdig und künstlich wirkt. Joachim Kalkas grobschlächtige Übersetzung verschlimmert das Original noch. Zwar ist das Gemisch aus ungrammatikalischer Polizei-Fachsprache, abkürzenden Benennungen von Einrichtungen, die es in Deutschland nicht gibt, und sprachlichen Klischees nur schwer ins Deutsche zu retten; doch verschwendet Kalka seine Erfindungskunst daran, passende deutsche Worte zu ignorieren (aus "plainclothes" macht er "Detective in Zivil" statt "Zivilfahnder"), den Ton des Buches zu mißachten, Sätze wegzulassen, die Kapitel-Einteilung zu verändern. Und der Titel des Romans war wohl auch nicht des Nachdenkens wert. Aber wenn Martin Amis - wie der von Mike konsultierte Autor des Ratgebers "Den Selbstmord begreifen" - ein "lausig geschriebenes, außerdem selbstgefälliges" Buch schreiben wollte, hat er in Kalka einen kongenialen Übersetzer gefunden.

Titelbild

Martin Amis: Night Train. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Joachim Kalka.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
174 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3100008235

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