Vom Rochen gestochen

Anne Zielke ist mit "Arraia" ein Sensations-Debüt gelungen

Von Ansgar VautRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ansgar Vaut

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anne Zielkes Novelle "Arraia" war eines der unerhörtesten literarischen Debüts des letzten Jahres. Bemerkenswert ist dabei nicht nur die auf 120 Seiten erzählte Geschichte zweier deutscher Studenten im brasilianischen Urwald, sondern auch die Karriere, die das Buch seit seinem Erscheinen gemacht hat: Publiziert im angesagten Münchener Blumenbar Verlag, vorabgedruckt in der F.A.Z. und besprochen in allen großen Feuilletons - das ist auch in Zeiten, in denen talentierte Nachwuchsautoren sehr wohlwollend behandelt werden, eine nicht alltägliche Begebenheit.

Sei "Arraia" nun ein gutes Buch (wie die meisten Rezensenten fanden) oder ein fragwürdiges (wie Joachim Bessing in der "Welt am Sonntag" schrieb) - gerechtfertigt ist der Wirbel schon deswegen, weil "Arraia" ein so durch und durch ungewöhnliches Buch ist. Es spielt im brasilianischen Dschungel, wo die beiden deutschen Theologiestudenten Hegenberg und Santin ein Praktikum in einer Missionsstation absolvieren. Um einen sterbenden Brasilianer zurück in sein Heimatdorf zu bringen, unternehmen sie eines Tages eine längere Flussfahrt. Auf dieser Fahrt kommt es erst zu Spannungen, dann zu einigen handfesten Streitigkeiten. Dass es zwischen den beiden Zündstoff gibt, zeichnete sich vorher bereits ab: In der Mitte der Erzählung unterhalten sie sich über ihre Pläne. Und spätestens hier wird deutlich, dass sie als Antagonisten angelegt sind: Hegenberg, viril und asketisch, will Priester werden. Santin ist dagegen weniger prinzipientreu, ja, er erzählt Hegenberg sogar, dass er ein geheimes Verhältnis mit einer Brasilianerin hat. Einige Tage später wird Santin von einem hochgiftigen Rochen, einem Arraia, gestochen.

Vielleicht ist das eine der weniger geglückten Szenen des Buchs (obwohl sie doch den Wendepunkt markiert): In der Novelle wird das Thema der unterdrückten Sexualität in subtile Andeutungen und suggestive Bilder verpackt. Wie der Stachel des Fisches dann ausführlich beschrieben wird, wirkt dagegen ein wenig dick aufgetragen. Hier scheint es, als würde sich die Autorin, die bis dahin mit Unterschwelligkeit arbeitete, ein wenig verzetteln. Aber das ist nur eine Szene, und was danach kommt, ist von einer ungeheuren Intensität.

Es gehört dabei zu den großen Stärken des Buches, dass die Autorin längst nicht alles erklärt, sondern lediglich andeutet, Bezüge eröffnet und das Verhältnis zwischen Santin und Hegenberg in einer sonderbaren Schwebe hält. Man könnte dem Buch Eskapismus vorwerfen: Das Brasilien, in dem die Geschichte spielt, wirkt wie ein Märchenwald; und die beiden Hauptfiguren sind auch nicht eben aus dem Leben gegriffen.

Wäre Anne Zielke eine weniger gute Autorin und hätte sie die Spannungen zwischen ihren beiden Hauptfiguren nicht so gekonnt in den Abgründen des dampfenden Urwalds angesiedelt, hätte dieser Vorwurf leicht treffen können. Doch dank Zielkes Fähigkeit, die Dinge trotz präziser Beschreibungen in einer zauberhaften Vieldeutigkeit zu halten, ist "Arraia" ein überaus gelungenes literarisches Debüt.

Titelbild

Anne Zielke: Arraia. Novelle.
Blumenbar Verlag, München 2004.
120 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3936738114

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