Die Zeit ist eine Frauenkrankheit

Carmen Rico-Godoys Roman "Das Fest der Schwestern

Von Dorothee ReinhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothee Reinhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem Film "Himmel über Berlin" denkt eine Artistin: "Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, doch was ist, wenn die Zeit selbst die Krankheit ist?" María, der Protagonistin und Ich-Erzählerin des Romans von Rico-Godoy, wird dies zur Gewissheit. Die Zeit, das heißt für den Menschen das Älterwerden, das nicht mehr Jungsein, ist eine Krankheit, die erbarmungslos zuschlägt, wenn...

Wann das genau beginnt, kann allerdings auch María nicht so genau sagen. Vielleicht, wenn man plötzlich Falten und schlaffe Wangen an sich entdeckt. Und welcher Tag würde sich besser für solche Gedanken eignen als der eigene Geburtstag. Und so beginnt die Geschichte mit dem (Geburtstags-) Fest der Schwestern. Denn María hat eine Zwillingsschwester, Ana. Die beiden Schwestern gleichen sich wie ein Ei dem anderen, doch ihre Lebensentwürfe sind völlig verschieden. María ist Schauspielerin, Karrierefrau, sie hat weder Mann noch Kind. Ana hat ihr Leben und ihre Talente ihrem Mann geopfert, sie haben einen Sohn, dessen Frau ein Baby erwartet.

Das Geburtstagsfest wird zum Schicksalsschlag. Ana klagt so sehr über Schmerzen, dass sie schließlich in ein Krankenhaus gebracht wird, die Ärzte stellen einen Tumor fest, und sie wird operiert. Doch wie unbewusst scheint María das Leid ihrer Schwester auf sich zu nehmen. Während Ana, zwar nun mit künstlichem Darmausgang und als betrogene Ehefrau, immer mehr aufblüht, wird María zu einem Schatten ihrer selbst. Ihre Erzählungen kreisen um das Krankenbett Anas und bald wird deutlich, dass nicht das Leben der Kranken aus den Fugen geraten ist, sondern ihr eigenes. Wie ihre Schwester von ihrem Mann wird sie von ihrem Leben, was ihre Arbeit ist, betrogen. Als Schauspielerin ist sie auf dem absteigenden Ast, denn sie ist schlicht zu alt um wirklich interessante Filmrollen angeboten zu bekommen. Ständig wird sie auf der Straße von den Leuten mit anderen Schauspielerinnen verwechselt. Für sie ist auch die Liebe eines Mannes keine Rettung, kann es auch gar nicht sein, denn ihre Lebensaufgabe war nicht das private Glück der Partnerschaft.

Ana vermag sich schließlich von ihrem Mann zu befreien, was zwar einerseits Einsamkeit für sie bedeutet, aber eben auch Freiheit. Wie aber kann man sich vom Leben, von der Zeit selbst befreien? María sieht für sich als alternde Frau keine Hoffnung. Sie krankt an den Vorgaben einer Gesellschaft, die entweder nur der Jugend oder der Männlichkeit ihren Respekt zollt: "Männer werden in ausgezeichneter Form reif und fühlen sich bewundert, haben Lust, noch einmal von vorne anzufangen, mit einer jüngeren Frau, und die gesamte Gesellschaft billigt es, ja, klatscht sogar Beifall. Die reife Frau hat sich ins Winterquartier zurückzuziehen und sich aus dem Verkehr zu ziehen; und vor allem soll sie nicht zu sehr nerven." So bedauert María auch das kleine Mädchen, die Enkelin ihrer Schwester, das geboren wird. Auch sie wird eines Tages von der Krankheit eingeholt, die Zeit heißt und die eine Frauenkrankheit ist.

Trotzdem, trotz dieser bitteren Überlegungen, ist "Das Fest der Schwestern" keine schwere Kost. Im Gegenteil - Rico-Godoy hat sich mit spanischer Leichtigkeit des feministischen Themas angenommen. Ironisch, an einigen Stellen erfrischend politisch unkorrekt und zeitweise derb-komisch bewegt sich die Geschichte um einen künstlichen Darmausgang und um die ewige Frage nach Männern und Frauen.

Titelbild

Carmen Rico-Godoy: Das Fest der Schwestern. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Volker Glab.
Piper Verlag, München 2005.
272 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3492243258

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