Berufung, Rausch, Obsession

Friederike Mayröckers neues Prosabuch in Erinnerung an Ernst Jandl

Von Carolina SchuttiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carolina Schutti

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Bin mit dir wie mit Ätherwellen verbunden, sage ich zu EJ." Kein Tagebuch, keine Biografie ist dieser Text, sondern ein Liebesbekenntnis. Gegenüber Ernst Jandl, Mayröckers Schreib- und Lebensgefährten, den sie 1954 in Innsbruck kennen gelernt hat, gegenüber der Sprache, in der und für die sie lebt, gegenüber dem Schreiben, das stets "von alleine kommen" muss.

"Ich schreibe jetzt figural", betont die Autorin in diesem Text wieder und wieder. Als müsste sie sich (und den Lesern) immerzu versichern, den roten Faden des Erzählens in der Hand zu haben, dass er sich nicht verliert, verheddert in assoziativen Wortgeflechten. "Jetzt bricht ein ganz rigoroser Stil bei mir durch oder Stimme, sage ich zu EJ, dasz ich flügge bin seltsam flügge bin." Tatsächlich hat man nach Beendigung der Lektüre das Gefühl, mehr zu ,wissen', denn in diesem Buch gibt es - und das unterscheidet es wesentlich von früheren (Prosa)büchern der 1924 in Wien geborenen Autorin - immer wieder linear erzählte Passagen. "[...] und ich hatte das Bedürfnis kerzengerade Sätze zu machen aber es sollte hie und da ein unerwarteter aufregender Satz dabei sein, ein Satz nämlich in welchem die Elektrizität ein und aus ging [...]". Erinnerungen an Ernst Jandl, an die Mutter, an Freunde und Bekannte - die konkreten, zumeist ganz alltäglichen Erinnerungen blitzen nur kurz auf, werden bald wieder von dem Mayröcker so eigenen Sprachfluss aufgenommen und weitergetragen. Manche verschwinden, manches taucht, Leitmotiven gleich, immer wieder auf.

Und deshalb ist dieses Buch kein "ganz konventionell" erzählter Text geworden - wenn sich das auch, wie aus einem auf dem Klappentext abgedruckten Interviewausschnitt aus "Spiegel Online" hervorgeht, so mancher gewünscht haben mag. Mayröcker behält ihre Art der Sprachführung bei, mit dem Wunsch, der Leser möchte sich der Sprache hingeben: Es sei ihm "nicht zuzumuten dasz er mitarbeitet beim Lesen", vielmehr solle er sich "überschwemmen" lassen. Die Bilder kommen ganz von allein und verlassen einen auch nicht so schnell wieder. Etwa der Auftritt Ernst Jandls in einer "Lichtmütze", die orientalischen Lilien von Ely, das unaufhörliche "Floren" und Blühen. Mayröcker vereint assoziativ-poetisches Schreiben und (figurales) Erzählen zu einer ausnahmslos harmonischen, neuartigen, man möchte fast sagen von jeglichen Formvorgaben (auch der des nicht konventionellen Schreibens) befreiten Sprachkomposition.

So klein sind die Ausschnitte aus (real) Erlebtem und dadurch so intim, dass man sich beinahe ertappt fühlt, wenn Mayröcker das Wort an uns, die Leser, richtet: "oder ist das nicht alles ein wenig zu hochgegriffen, lieber Leser liebe Leserin, denn ich bitte Sie im Grunde wohnen Sie ja einer Angst Reise bei [...]". Die Reise führt von kleinen, scheinbar unbedeutenden Alltagsbeobachtungen unvermittelt in die Tiefen menschlicher Gefühlsregungen und Ängste. Helga Kasper hat in einem Aufsatz treffend formuliert, dass "nicht die Bestätigung unseres Wissens" im Vordergrund von Mayröckers Schreiben stehe, sondern vielmehr "die Aufforderung, neue Erfahrungswerte nachzuvollziehen".

Mayröcker, die beim Schreiben begleitet wurde von der Musik Keith Jarrets, vor allem aber von einer Platte der Callas, zeigt in diesem Band nicht nur Lichtmützen und Blumen, sondern auch Krankheit, Angst, Motten, Blut. Einer der neben dem titelgebenden "und es florte um mich herum und ich schüttelte einen Liebling" immer wieder zurückkehrenden Leitsätze lautet: "und ich wischte mir das Blut aus den Haaren". Ihre Verletzung, ihr eigenes Kranksein, ihre Angst vor dem Sterben vermischen sich mit dem Schmerz über den Verlust ihres Lebensgefährten. Motten zerfressen da etwa Jandls Kleidung, setzen sich auch (schon) auf Mayröckers Pullover, wo sie (noch?) erschlagen werden.

Von unheimlicher Tragweite ist dann das folgende Bild: Staub überzieht Ernst Jandls "Flechtschuhe". Sie waren nicht nur Schuhe, sondern auch das Lieblingswort des Schriftstellerpaars. Unter diesem Aspekt bekommt der Titel beinah etwas beängstigend Aufbäumendes: Mayröcker schüttelt ihren Liebling, den Text, das Schreibpapier, "diese himmlische Sprache", die sich jetzt im Alter "zuweilen" "entfernt", hält und schüttelt so lange, bis etwas herausfällt, ihr "Eigenes"...

Schreiben, das ist Berufung, Rausch, Obsession. Während Ernst Jandl im Alter des Schreibens überdrüssig wurde, ist Mayröcker ständig davon umgeben, kann es nicht steuern, gibt sich dem Schreiben vollständig hin: "[...] und ich war wie betäubt, ich schüttelte meinen Text und ich erwartete weitere Früchte aber die Zeit: die Tageszeit war nicht reif dafür und ich hatte zu warten bis der nächste Schreib Schub ankommen würde [...]. Dann ist es fünf Uhr früh ich rolle aus dem Bett und laufe zur Maschine, zwei Stunden später ist der Rausch vorüber -".

Keine Biografie ist dieses Buch, sondern ein Liebesbekenntnis. Im Schreiben offenbart sich die Möglichkeit, dass sich Erinnerung und Wirklichkeit vermischen, einem die Vergangenheit, geliebte Menschen wieder ganz nahe kommen. Friederike Mayröcker vertraut der Sprache wie kaum eine Dichterin unserer Zeit - ein Vertrauen, dem wir als Leser nur ansatzweise nachspüren können, indem wir uns von diesem Buch, das assoziativ-experimentelles und erzählendes Schreiben so überzeugend miteinander versöhnt, vorbehaltlos tragen und überschwemmen lassen...


Titelbild

Friederike Mayröcker: Und ich schüttelte einen Liebling.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
238 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3518417096

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