Die Attraktion der Digitalisierung

Stefan Heidenreich über die Geschichte der Computer

Von Peter ReichenbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Reichenbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Texte, Bilder, Musik, vieles von dem, was uns umgibt, ist bereits in digitalem Format, und das gilt nicht nur für den Arbeitsalltag. Immer mehr Kulturprodukte benötigen den Computer nicht nur als Herstellungsmedium, sondern brauchen ihn auch zur Rezeption. Eine Entwicklung, die in den letzten zehn Jahren einen so rasant schnellen Lauf genommen hat, dass es nur wenige Arbeiten gibt, die sich an dieses Thema wagen. Zu kurz scheint die Haltbarkeit von Aussagen. Stefan Heidenreich hat mit seinem Buch "FlipFlop" einen Anfang gewagt. Auch wenn sich Speicher, Prozessoren und die Geschwindigkeit der Datennetze konstant weiterentwickeln, lassen sich, so seine Herangehensweise, dennoch Aussagen über die Entwicklung bis heute und die Auswirkungen auf die traditionellen, analogen Medien treffen.

Heidenreich legt seinen Schwerpunkt auf das Darlegen der technischen Entwicklung der digitalen Medien. Dem heute als homogen wahrgenommenen Computer geht in Wahrheit eine lange Geschichte unterschiedlicher technischer Entwicklungen auf unterschiedlichen Sektoren voraus, die erst später zu dem universellen digitalen Medium Computer führt. So wird von Heidenreich beispielsweise die Entwicklung der analogen Speicher (Schallplatten, Lochkarten usw.) bis zu den heutigen digitalen Speichern unserer Computer nachvollzogen. Seine These ist, dass nur auf diese Weise gezeigt werden kann, wie "das Spektrum der Sinne technisch verfügbar wurde und wie Apparate Informationen austauschen und speichern." Es soll eine theoretische Basis geschaffen werden für die Bewertung von digitaler Kultur, "nicht ausgehend von einem homogenen Medium Computer, sondern von den Schnittstellen, Rechengeschwindigkeiten, Formaten und Protokollen". Im Aufzeigen dieser Entwicklungen hält Heidenreich immer den Blick auf ihre ursprünglichen Utopien und die tatsächlichen Auswirkungen gerichtet. Es wird anschaulich gezeigt, wie groß die Diskrepanz zwischen dem ursprünglichen Sinn der zu entwickelnden Technologie (sei es das Kino, das Telefon oder das Internet) im Vergleich zu der heutigen Art und Weise der Verwendung ist: Der Computerentwickler Howard Aiken beispielsweise prognostizierte 1944 den zukünftigen Bedarf an Computern auf maximale fünf Stück. Der Computer erfüllte genau die Zwecke, für die er entwickelt worden war, nämlich für das Entschlüsseln von codierten Nachrichten oder um Flugbahnen und Wirkung von Geschossen zu errechnen. Die heutige Anwendung und Verfügbarkeit des "personal computers" war zu dieser Zeit nicht absehbar. So waren es immer wieder die "unwissenschaftlich" arbeitenden Bastler wie Thomas Edison oder auch Bill Gates, die der Verbreitung und Veränderung der Medien die entscheidenden Wendungen gaben. Es ist Heidenreich wichtig zu zeigen, dass die Entwicklungen der Medien weitaus weniger zielgerichtet waren, als man das annehmen könnte. Er erarbeitet so im Verlaufe des Buches, immer ausgehend von den unterschiedlichen Entwicklungen für die Darstellung und Übertragung von Ton, Bild und Text, wie es zu dem heutigen Computer als Medium kam. Der wichtigste Beitrag, den Heidenreich auf diese Weise leistet, ist eine Entmystifizierung des Computers. Es ist für den Anwender nicht unbedingt wichtig, jede Einzelheit von Programmsprachen und Codes zu kennen, jedoch ihre Entstehung und grundsätzlichen Eigenschaften, wie sie in diesem Buch erklärt werden.

Leider verzichtet Heidenreich, vermutlich um eine bessere Lesbarkeit seiner Arbeit zu erreichen, auf einen streng wissenschaftlichen Stil. Dieses Konzept geht leider nicht immer auf. Auf der einen Seite wird beispielsweise das Shannon'sche Informationsmodell so knapp erklärt, dass es eigentlich nur mit Vorwissen verständlich ist, auf der anderen Seite fehlen häufig Quellenangaben und Zitate, um strittige Aussagen für den Leser nachvollziehbar zu machen: Zur Etymologie des Buchtitels beispielsweise schreibt Heidenreich, dass "FlipFlop" ein Synonym für die Eccles-Jordan-Schaltung sei, und im gleichen Zusammenhang, dass die Übertragung des Namens für die bekannten Sandalen in Kalifornien entstand, wo es "zu jener Personalunion von Ingenieur und Surfer gekommen" sein müsse, "die nicht nur dafür sorgte, dass man in den Datenströmen zu surfen glaubt, sondern auch einer Sandale zum Namen einer Schaltung verhalf". Im Gegensatz zu dieser Darstellung beansprucht die deutsche Modedesignerin Stefanie Schulze die Übertragung des Namens auf die Sandalen (vgl. SZ vom 04.06.2003). Ausführlichere Erklärungen und mehr Transparenz, was die Quellen anbelangt, hätten dem Buch gut getan. Möglicherweise liegt es an dieser Art des Schreibens, dass häufig die Konsequenzen des Gesagten fehlen. Wenn Heidenreich in Bezug auf Internetprotokolle schreibt, dass das Protokoll über eine "definitorische Macht" verfügt und "die beiden Seiten der Kommunikation deklariert", erwartet der Leser eine Schlussfolgerung. Welchen Einfluss hat diese Macht der Protokolle auf die Kommunikation im Internet, wie ist die Rückkopplung auf das Format E-Mail und wie beeinflusst es das Schreiben im Netz?

Auch wenn Antworten auf diese Fragen offen bleiben, werden in "FlipFlop" zum ersten Mal die wichtigen Vorstufen und Utopien der technischen Entwicklung bis zum digitalen Computer kohärent zusammengefasst.


Titelbild

Stefan Heidenreich: FlipFlop. Digitale Datenströme und die Kultur des 21. Jahrhunderts.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
222 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3446205470

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